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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen
Autoren: Burkhard Rueth
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das
Seil gut unter Spannung hältst. Ich kenne nicht jede Gletscherspalte.«
    »Selbst wenn wir es bis zum Parkplatz schaffen, wie sollen wir
wegkommen? Er liegt auf über zweitausend Meter, da ist garantiert schon alles
eingeschneit. Wir haben bald zwanzig Grad unter null.«
    Hans Valentin lachte. Das war typisch Vincenzo. Er neigte zur Dramatik,
was allerdings auch dem Umstand geschuldet war, dass ihn die unbändigen Kräfte
der Natur von jeher faszinierten. »Vincenzo, es ist kaum kälter als minus fünf
Grad, es kommt dir nur wegen des Sturms so eisig vor. Am Parkplatz haben wir
höchstens Schneeregen, vor Mitternacht schneit es da nicht. Du kennst die Berge
halt nur bei schönem Wetter.«
    Hans behielt recht. Immer wieder riss die Wolkendecke für kurze Zeit
auf, und der Schneefall ließ nach, bevor ein neuer Schauer Vincenzo vergessen
ließ, dass nicht einmal Oktober war. Sie erreichten den Parkplatz mühelos nach
drei Stunden. Dass Vincenzo noch keine Winterreifen auf seinem Alfa hatte
aufziehen lassen, war unproblematisch, denn bei nasskalten drei Grad regnete es
lediglich.

2
    Bozen, Montag, 27. September
    Fröstelnd blickte Vincenzo durch sein Bürofenster der
Questura in Bozen auf die regennasse Largo Giovanni Palatucci. Als er heute
Morgen um sieben Uhr in seiner Sarntheiner Wohnung aufgestanden war, hatte er
seinen Augen kaum getraut. Wie von Hans auf der Rückfahrt vorausgesagt, waren
alle Berge ringsum in ein weißes Kleid gehüllt, soweit sich das hinter den tief
hängenden Wolkenmassen überhaupt erkennen ließ. Sarnthein lag zwar nur tausend
Meter hoch, doch auch hier mischten sich dicke, nasse Schneeflocken unter den
Dauerregen, und es war stockfinster. Trotz seiner bis zum Boden reichenden
Panoramafenster musste er beim Frühstück das Licht einschalten.
    Hans hatte ihm erklärt, dass es solche frühen Kälteeinbrüche in
Zukunft häufiger geben würde, und es kämen wieder viel strengere Winter. Das
hänge mit dem Golfstrom, mit ungewöhnlichen Blockadewetterlagen und mit rasch
voranschreitenden Veränderungen in der Barents-Kara-See, einem Teil des
arktischen Ozeans, zusammen. Der eigentliche Grund für all das sei
paradoxerweise der vom Menschen verursachte Treibhauseffekt, der nun insgesamt
die Durchschnittstemperatur auf der Erde erhöhe.
    Vincenzo war umweltbewusst, er kannte die Gefahren des Klimawandels.
Aber von dem, was sein Freund ihm erzählte, verstand er kaum ein Wort, obwohl
Hans anschaulich erklären konnte. Die traurige Aussicht auf permanente Kälte
schlug ihm jedenfalls aufs Gemüt. Was wurde dann aus seinen Bergwanderungen?
Bräuchte er für jeden kleinen Gipfel einen Bergführer? Musste er in Sarnthein demnächst
das ganze Jahr heizen? Er war so in seine Überlegungen vertieft, dass er das
Klopfen an seiner Tür nicht wahrnahm.
    Ohne eine Antwort abzuwarten, betrat Ispettore Guiseppe Marzoli
Vincenzos Büro. Er setzte sich sogleich an den Besprechungstisch und musste
voller Enttäuschung feststellen, dass die Etagere mit seinen heißgeliebten
Cantuccini, die er erst am Freitag vollständig abgeräumt hatte, nicht frisch
aufgefüllt war. »Haben Sie es schon gehört, Commissario?«
    Marzolis Stimme riss Vincenzo aus seinen Gedanken. Er löste den
Blick von den Pfützen und drehte sich langsam zu seinem Kollegen um. »Was soll
ich gehört haben?«
    »Der Feuerteufel hat zugeschlagen, gestern, in der Via Miramonti.«
    Vincenzo verdrehte die Augen. »Nicht schon wieder. Was hat er sich
denn diesmal ausgesucht?«
    »Ein großes Gartenhaus. Mit viel Kaminholz drum herum. Die
Hausbewohner haben Rauch gerochen und die Flammen in ihrem Garten gesehen. Sie
haben sofort die Feuerwehr gerufen.«
    Angefangen hatte es im Mai. Nichts weiter als eine brennende Tonne
für Papierabfälle. Sie hatten es für einen Dummejungenstreich gehalten, ihnen
wäre nicht in den Sinn gekommen, dass dies der Auftakt zu einer ganzen Serie
von Brandstiftungen werden sollte. Das gestrige Feuer war der zehnte Anschlag.
Nie wurde jemand verletzt, der finanzielle Schaden hielt sich zunächst in
Grenzen. Mal brannte ein Holzstapel, mal eine Papiertonne, allzu intensiv wurde
nicht ermittelt. Aber allmählich wurde er oder sie mutiger. Zuletzt hatte ein
ganzer Lkw gebrannt, der Holztüren geladen hatte. Ein Gartenhaus passte zu
diesem Entwicklungstrend.
    »Wie immer gibt es reichlich Spuren, nehme ich an?«
    Der Ispettore blickte verstohlen auf die Etagere. »Ja, Commissario,
alles, was Sie wollen. Rückstände,
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