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Eiswind - Gladow, S: Eiswind

Titel: Eiswind - Gladow, S: Eiswind
Autoren: Sandra Gladow
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sie einzusteigen. Anna folgte seiner Aufforderung, dankbar, der eisigen Nässe zu entkommen.

    Ihr Vorgesetzter blickte missbilligend auf ihre matschigen Stiefel, die Anna in der Eile versäumt hatte auszuschlagen.
    »Entschuldigung«, sagte sie nun beiläufig und war einmal mehr fasziniert darüber, dass selbst im Wagen des Oberstaatsanwalts eine geradezu sterile Ordnung herrschte. Auf den im Fußraum befindlichen hellgrauen Teppichschonern hatte sich mit Sicherheit kein Staubkorn befunden, bevor Anna ihre verdreckten Schuhe daraufgestellt hatte.
    »Ich bin so froh, dass Sie da sind!«, brachte sie dann hervor. »Ich glaube, wir sind hier falsch. Hier ist nichts von Einsatzfahrzeugen zu sehen.«
    »Wir sind richtig«, antwortete Tiedemann ruhig. Sein Haar war zerzaust, und sein Gesicht sah grau aus.
    Kein Wunder, dachte Anna, vermutlich hatte sie ihn mit ihrem Anruf direkt aus dem Bett geholt.
    »Dort geht es zum Tatort.« Er deutete auf einen Pfad, der links vom Weg abzweigte und nur zu Fuß begehbar schien.
    Anna sah ihn ungläubig an.
    »Es gibt einen weiteren Parkplatz am anderen Ende des Waldstücks, der vom Ort aus erreicht werden kann«, beantwortete Tiedemann ihre stille Frage. »Dort wird mit Sicherheit mehr los sein.«
    Er lächelte sie an und beugte sich in ihre Richtung, was sie unwillkürlich zurückweichen ließ. Der Oberstaatsanwalt enthielt sich eines Kommentars und fischte stattdessen einen großen Regenschirm aus dem hinteren Fußraum.

    Anna hoffte, dass er ihr albernes Verhalten nicht negativ interpretieren würde. Aber seit ihrem gemeinsamen Abend beim Italiener versuchte sie ihm auszuweichen. Wahrscheinlich bildete sie es sich nur ein, aber am Ende dieses unsäglichen Abends hatte sie tatsächlich befürchtet, er würde die Dummheit begehen und versuchen, sie zu küssen.
    »Wollen wir?«, riss Tiedemann sie aus ihren Gedanken. »Wir sollten uns beeilen.«
    Anna wollte gerade fragen, ob es nicht besser wäre, auf den anderen Parkplatz zu fahren, kam aber nicht mehr dazu, weil er bereits ausstieg. Sie tat es ihm gleich und rannte um den Wagen herum, um unter seinem Schirm Schutz zu suchen. In dem Licht seiner Taschenlampe wirkte sein Gesicht gespenstisch blass.
    »Nehmen Sie ruhig Ihren Hund mit«, forderte er sie auf.
    »Gern«, sagte Anna verblüfft. Sie hatte nicht damit gerechnet, ihren Vierbeiner mit zum Tatort nehmen zu dürfen. Nun aber öffnete sie die Heckklappe ihres Wagens, legte Hubert die Leine um und ließ ihn hinausspringen.
    Ihr Diensthandy klingelte. Die aufleuchtende Nummer zeigte ihr, dass es Ben Bendt war.
    »Ich übernehme das Gespräch«, sagte Tiedemann auf einmal sehr bestimmt und nahm Anna den Apparat aus der Hand.
    Sie sah ihn erst verblüfft an und ärgerte sich dann über sein eigenmächtiges Verhalten, was sich erkennbar in ihren Gesichtszügen widerspiegelte.

    »Ich denke, ich leite die Ermittlungen«, kommentierte Tiedemann jedoch nur ihren Unmut und hielt das Handy an sein Ohr.
    »Komisch«, sagte er, nachdem er vergeblich versucht hatte, den Teilnehmer anzunehmen. »Es scheint eine Störung zu geben. Die Leitung ist tot.« Er zuckte mit den Schultern, ließ Annas Handy wie selbstverständlich in seine Manteltasche gleiten und marschierte entschlossenen Schrittes los.
    Es war nicht leicht für Anna, mit ihm Schritt zu halten. Sie empfand die Selbstverständlichkeit, mit der er ihren Dienstapparat an sich nahm, als überaus anmaßend, versuchte jedoch, seine Überheblichkeit damit zu entschuldigen, dass er sich offenbar von ihr abgewiesen fühlte und nun versuchte, die verletzte männliche Eitelkeit mit übertriebener Dienstsouveränität zu überspielen. Sie wollte gerade beginnen, von Sabrina Mertens’ Tagebucheintragungen zu berichten, als er erneut abbog.
    Anna blieb unvermittelt stehen. »Da ist ja überhaupt kein richtiger Weg«, sagte sie verwirrt und blickte auf den ausgetretenen matschigen Pfad, der direkt in ein Waldstück zu münden schien.
    Tiedemann kam nicht dazu, etwas zu erwidern, weil sein Handy klingelte. Er legte den Zeigefinger auf seine Lippen und gab ihr so zu verstehen, dass sie still sein solle. Der Regen prasselte derart laut auf den Schirm, dass es Anna unmöglich war, die Stimme am anderen Ende der Leitung zu verstehen. Ihre Knie zitterten vor Kälte, und ihre Wangen brannten von dem kalten Wind.
    »Ich bin direkt dort«, sagte der Oberstaatsanwalt nun in den Apparat. Es folgte eine Pause. »Ja, sie muss auch hier sein … ihr Wagen,
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