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Eiswind - Gladow, S: Eiswind

Titel: Eiswind - Gladow, S: Eiswind
Autoren: Sandra Gladow
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selbst, »also bei der wusste man ja nicht, wie sie hieß, da kam man ja nicht ins Gespräch, stimmt’s, Winfried?«
    Winfried Burmeister nickte zustimmend, dankbar dafür, auch mal etwas beitragen zu dürfen.
    »Also in der Woche«, fuhr die Zeugin fort, »da kam sie wohl eben immer sehr früh, wie ich sagte, so gegen sieben, halb acht, da hab ich sie eigentlich nur gesehen, wenn sie mal sehr spät dran war und ging, wenn ich gegen halb neun kam.« Sie hielt einen Moment inne.
    »Ja, und am Wochenende war sie eigentlich nie morgens da. Da habe ich sie oft am Nachmittag gesehen, da
hatte sie wohl nicht so feste Zeiten. Also ich für meinen Teil gehe ja in aller Regel um halb vier, weil …«
    Bendt unterbrach Frau von Hacht charmant genug, um in relativ kurzer Zeit neben ihrer und Leilas Mittagsschlaf- und Essgewohnheiten ihre maßgeblichen Beobachtungen zum Fall zutage zu fördern. Demnach war sie auf ihrem Spaziergang nach kürzester Zeit Herrn Woltereck begegnet, dessen Dackelhündin Daisy den grauenvollen Fund gemacht hatte.
    »Das arme Tier«, stöhnte sie in ehrlicher Anteilnahme. »Wenn ich mir vorstelle, meine arme Leila hätte …«, sie hielt einen Moment inne, »nicht auszudenken.«
    Hauptkommissar Braun konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass Frau von Hacht für den Dackel Daisy größeres Mitgefühl empfand als für das Mordopfer.
    »Wir sind dann jedenfalls sofort zurück zum Auto und haben mit meinem Mobiltelefon, das ich zum Glück immer für Notfälle in meinem Handschuhfach bereithalte, die Polizei verständigt.«
    »Wissen Sie«, erlaubte sich Hauptkommissar Braun auch mal wieder eine Frage, »wo wir Herrn Woltereck jetzt finden?«
    »Den haben sie im Krankenwagen mitgenommen, hatte wohl Herzflimmern«, antwortete sie.
    »Auch das noch«, stöhnte Braun, der sich gern kurz ein eigenes Bild von den Wahrnehmungen des Zeugen gemacht hätte und wenig Lust verspürte, Herrn Woltereck in der Klinik zu vernehmen.

    »Eine Frage noch, Frau von Hacht«, bat er. »Als Sie gestern Morgen hierher kamen, stand der Jeep da auch hier, oder haben Sie sonst etwas bemerkt?«
    Frau von Hacht errötete leicht, bevor sie entschuldigend stammelte: »Also, als ich vorhin sagte, ich sei jeden Tag um halb neun hier, da meinte ich außer gestern. Das heißt, außer an den wenigen anderen Tagen, an denen ich …«, sie beugte sich vor und flüsterte: »… morgens schon zur Lymphdrainage gehe.«

3. KAPITEL
    E r konnte sich nicht mehr erinnern, wie er sein Leben früher hatte aushalten können, als er ausschließlich Jörg Schleedorf war. Liebevoll strich er den Staub von seinem Monitor, bevor er den Rechner einschaltete und sich in seinem durchgesessenen Schreibtischstuhl zurücklehnte. Mit geschlossenen Augen hörte er versunken dem sanften Surren des hochfahrenden Computers zu. Das war seine Lieblingsmusik, seine Hymne. Wie immer waren seine Jalousien zugezogen, und nur die Schreibtischlampe war angeknipst. So war es am schönsten.
    Der Raum, der ihm zur Verfügung stand – unendlich. Die schmutzigen, kahlen Wände seines Ein-Zimmer-Apartments wurden eins mit dem Grau der Dunkelheit, als existierten sie nicht mehr. Das diffuse Licht verhüllte seine Umgebung wie ein schützender Schleier und bedeckte das fleckige Laken seiner durchgelegenen Schlafcouch ebenso wie den schäbigen braunen Veloursteppich.
    Als er die Augen öffnete, gab es nur noch die fröhlichen bunten Bälle, die über seine Bildschirmoberfläche jagten, als wollten sie ihn antreiben, das Spiel zu beginnen. Die Farben und Muster des nach einiger Zeit
auftauchenden Bildschirmschoners waren ebenso unendlich wie seine Möglichkeiten. Grün, Gelb, Rot – vor allem Rot, das liebte er. Bälle mit Sternen, Streifen, sichel- oder kreuzförmigen Gebilden, die auf ihn zujagten und immer größer wurden und im nächsten Moment wieder wie kleine Punkte in die Tiefe des Bildschirms abtauchten, als wären sie nie vorhanden gewesen. Sie waren so vielfältig und so austauschbar wie er selbst.
    Sein Blick fiel auf den rechten, unteren Bildschirmrand. Es war halb acht. Ein angenehmer Schauder durchzuckte seinen Körper. Marilyn würde dort sein. Er schob das rote Metallgestell seiner Brille mit dem Mittelfinger höher auf den Rücken seiner Nase und kniff automatisch seine eng stehenden Augen zusammen. Dann spreizte er die langen, sehnigen Finger seiner Hände und schob sie ineinander, um gleich darauf seine Handrücken mit einem vernehmlichen Krachen auseinander
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