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Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Titel: Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
Autoren: Birgit Schlieper
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Aber sie weiß, dass solche Gesichtsverletzungen immer extrem bluten. Das scheint meistens alles viel schlimmer, als es wirklich ist. Manchmal sieht ja schon einfaches Nasenbluten fürchterlich aus. Oder die Kinder beißen sich auf die Lippe und haben gleich den ganz Mund voller Blut. Im Mülleimer liegen dunkelrote Tempos. Ein ziemlicher Berg.
    Natürlich wusste sie genau, dass der kleine Junge sie beobachtete. Dass er ausprobieren würde, ob er auch solche Kunststücke kann wie das große Mädchen. Sie hatte in seine großen faszinierten Augen geschaut und ihm fast auffordernd zugenickt. Als sie von dem Tier gesprungen war und sich ihre Tasche schnappte, sah sie aus den Augenwinkeln, wie der kleine Junge aus dem Sandkasten aufstand und auf das Wackelding zumarschierte.
    Am Anfang hatte sie sich noch gewundert, dass nie eine Mutter zu ihr kam und ihr verbot, den kleinen Kindern so waghalsige Sachen zu zeigen. Doch die Mütter sprangen immer erst auf, wenn Klein-Nils oder Klein-Paula blutend auf dem Boden lagen. Um sie kümmerte sich dann natürlich erst recht niemand mehr.
    Schon während sie die Haustür öffnet, hört sie Franziskas glucksendes Lachen. Ihre kleine Schwester freut sich jedes Mal unbändig, wenn Zoe nach Hause kommt.
    »Puuuh«. Zoe hält sich übertrieben die Nase zu, als sie in das Zimmer der Schwester geht. »Hier stinkt es ja, als hätte jemand eine Stinkbombe geworfen.« Sie piekt Franzi in den Bauch. »Bist du vielleicht das Stinktier hier?«
    Franziska brabbelt vor sich hin und Zoe holt mit geübten Griffen eine Windel, Tücher und Creme aus dem Schrank und legt ihre Schwester trocken. Franziska spielt dabei mit Zoes langem Haar.
    »Du solltest später Pferdepflegerin werden, da kannst du dann stundenlang Mähnen kämmen«, lacht Zoe, ehe sie in ihr Zimmer im Dachgeschoss verschwindet.
    Mitten in den Deutsch-Hausaufgaben fällt ihr der Name ein. Der kleine Junge hat Jonas geheißen. Sie hört plötzlich die Stimme der Mutter. »Jonas, nicht den Sand essen«, hatte die vorher noch gerufen. Erst als Jonas aufgestanden war, hatte Zoe bemerkt, dass er noch sehr klein war. Zwei Jahre vielleicht. Die anderen waren immer älter gewesen. Sie beruhigt sich. Bei ganz kleinen Kindern ist der Knochen oft noch weich. Da bricht so schnell nichts. Das hat sie mal in Biologie gehört.
    »Hast du Mathe?«
    Kim lässt sich neben Zoe auf die ausgeleierte Bank im Schulbus fallen.
    »Klar. Du nicht?«
    »Nein! Ich wollte das gestern Abend noch schnell machen, aber dann habe ich mich verchattet. Und danach war ich echt zu müde. Gib mal eben.«
    Zoe hat schon ihren Ordner aus der Tasche geholt, reicht Kim ein Blatt.
    »Hier, pinn du das ab, ich mache dir eben die andere Seite. Sonst schaffst du das nie.«
    Kim nickt dankbar und versucht konzentriert, in dem ruckelnden Bus klar und deutlich zu schreiben.
    Als der Bus vorm Schweitzer-Gymnasium hält, grinsen sich die Mädchen an. Beide Seiten sind kopiert. Es sieht noch nicht mal sehr krakelig aus.
    »Just in time«, lacht Zoe und hakt sich bei Kim unter. »Wer war denn gestern Abend im Chat so wichtig, dass du darüber sogar Mathe vergessen hast?«
    »Gibt es irgendjemanden auf der Welt, der nicht wichtiger ist als Mathe?«, fragt Kim erstaunt zurück.
    Im Gegensatz zu Kim und Saskia lässt sich Zoe auch von der Doppelstunde Mathe nicht die Laune verderben. Immer wieder, wenn sich Ausführungen und Erläuterungen ins unermesslich Langweilige steigern, schickt sie ihre Gedanken auf die Reise. In Traumländer, in Fantasiewelten, an ganz abgelegene Orte, an die sie niemanden mitnimmt. Im Gegensatz zu Kim und Saskia kann Zoe sich diese gedanklichen Auszeiten leisten. Probleme in der Schule sind der Fünfzehnjährigen fremd. Sie weiß selber nicht genau, warum. Alles fliegt ihr zu. Aber nicht nur deswegen ist sie als Sitznachbarin begehrt. Sie ist einfach nett. Meistens zumindest.
    Sie ist nicht traurig, dass sie nach der Schule Saskia, Kim und die anderen nicht begleiten kann. Die wollen trotz der noch etwas kühlen Temperaturen die Freiluftsaison vorm Eiscafé einläuten. Zoe wirft den Freundinnen noch schnell ein Küsschen zu und rennt zur Bushaltestelle. Sie hat versprochen heute Nachmittag auf Franzi aufzupassen. Nach langem Zögern hat ihre Mutter wieder angefangen zu arbeiten. Nur ein paar Stunden die Woche und eigentlich nur vormittags, während ihre jüngste Tochter von einer Tagesmutter betreut wird. Letzte Woche hatte Zoe ihre Mutter das erste Mal seit Langem
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