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Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Titel: Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
Autoren: Birgit Schlieper
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vorsichtig mit den Schuhen aus dem Höschen und schiebt es in die Tasche ihres Jeansrocks. Mit schnellem Schritt geht sie Richtung Klassenzimmer, zu Englisch. Sie will auf jeden Fall schon auf ihrem Platz sitzen, wenn der Böker reinkommt. Ihr Platz ist perfekt. Direkt gegenüber von der Tür. Sie ist immer die Erste, die der Böker sieht. Das heißt: Sie war es immer. In letzter Zeit ist der junge Lehrer ganz verkrampft darauf bedacht, nicht in ihre Richtung zu gucken. Zoe zuckt kurz als sie sich auf den Holzstuhl setzt. Der Rock ist hinten geschlitzt, und sie spürt unangenehm die kalte Sitzfläche an ihrem nackten Po. Egal. Da muss sie jetzt durch. Keiner aus der Klasse hat die Perspektive, die Herr Böker hat. Und er leidet darunter. Meist schafft er es, zehn oder fünfzehn Minuten nicht in Zoes Richtung zu sehen. Aber irgendwann können seine Augen nicht widerstehen. Dann wandern sie zu ihr und gleiten eine Etage tiefer. Zoe sieht wie er schwitzt, wie er verzweifelt versucht, nicht den Faden seines Unterrichts zu verlieren. Sie amüsiert sich prächtig. Vergangene Woche hat er zwanzig Minuten durchgehalten. Er hatte sich schlauerweise hinter Zoe gestellt und von da seine Fragen gestellt. Nach zwanzig Minuten hatte sich Zoe gemeldet, sich eine total überflüssige Frage zum aktuellen Stoff ausgedacht. Dadurch war Böker gezwungen, wieder zum Pult zu gehen, um das Buch zur Hand zu nehmen. Er hatte verloren. Auch die Kontrolle über seinen Blick. Zoe triumphierte. Es ist ihr nicht peinlich, dass er ihre Scheide sieht. Warum auch? Wer nackte Genitalien sehen will, wird rund um die Uhr im Fernsehen bedient. Und sie hält sich nicht für so etwas Besonderes, als dass ihr Intimbereich besonders schützenswert sei. Und was wäre schon ein bisschen Scham gegen diese Macht? Sie weiß natürlich, dass ihr Anblick ein einziger Tabubruch ist. Dass sie sich billig und schmutzig und verdorben und gemein fühlen müsste. Tut sie aber nicht. Es ist ihr Spiel. Sie liebt es, zu spielen. Und sie gewinnt immer. Nur freuen kann sie sich nicht. Und genau deswegen muss sie immer wieder den Einsatz erhöhen. Immer noch ein bisschen weiter gehen. Nach fünfundvierzig Minuten ist Bernd Böker sichtlich froh, den Raum verlassen zu können. Zoe hat ihn gequält, die Beine gespreizt, den Rock gerafft. Der junge Lehrer hat gelitten, die Flecken unter seinen Achseln wurden immer größer. Beim Hinausgehen sieht er aus, als würde er am liebsten gleich die Stadt verlassen. Oder sich zumindest für eine Woche krank melden.
    Das Bioreferat läuft gut. Genauso wie Zoe es erwartet hat. Sie hat sich vorher den Slip wieder angezogen. Dieses Mal war sogar eine Toilette frei. Sie schwingt sich auf das Lehrerpult, wartet in aller Ruhe, bis auch der Letzte zu quatschen aufgehört hat und legt dann los. Die Evolutionstheorie. Es geht um das Entstehen des Lebens, die verschiedenen Hypothesen und um Charles Darwin und sein »Survival of the fittest«. Zoe spricht laut, deutlich und baut kleine Lacher ein. Nach genau zwanzig Minuten – so war auch die Vorgabe – legt sie das letzte Blatt zur Seite und fragt freundlich: »Hat noch jemand Fragen?«.
    Aus der letzten Reihe – sie weißt nicht, wer es ist – kommt nur: »Was machst du heute Nachmittag?«
    Auch der Griesbach scheint zufrieden.
    »Danke Zoe, das war umfassend und ansprechend vorgetragen«, äußert er sich endlich. Zoe hatte auch gar nichts anderes erwartet.
    Zu Hause ist schlechte Stimmung. Kein lauter Krach, kein Streit. Nur eine Franziska, die trotzig und bockig ist, und eine Mama, die sich viel lieber an den Schreibtisch setzen möchte. Während Zoe isst, hält ihre Mutter der kleinen Schwester immer etwas Neues hin und versucht nebenbei eine E-Mail zu lesen. Doch Franzi hat keine Lust auf Spieluhren, auf quietschende Enten, auf brummende Bären und auch nicht auf ein singendes Buch. Sie jammert, steigert sich langsam in ein unangenehmes Brüllen.
    »Was liest du da?«, fragt Zoe, während sie den fettigen Käse vom Auflauf schabt.
    »Die aus der Firma wollen noch ein paar Nachbesserungen von mir. Und nachdem ich mich gestern so weit aus dem Fenster gelehnt habe, will ich da jetzt weiter punkten. Das ist meine Chance.«
    Zoes Mutter ist Anwältin, hatte ihren Mann im Jura-Studium kennen gelernt. Mit viel Arbeit und Engagement hatten sich Kesslers in eine Gemeinschaftskanzlei eingearbeitet, hatten oft bis spät in den Abend Akten gewälzt, Plädoyers geschrieben. Als Zoe auf die Welt kam,
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