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Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Titel: Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
Autoren: Birgit Schlieper
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werden?«
    »Nein. Sagen Sie mir einfach die Nummer. Diese Automatentussi ist mir zu langsam.«
    Sie schreibt die Nummer mit, legt auf, wählt neu.
    Nach dem gefühlten fünfundvierzigsten Klingeln wird abgenommen. Eine alte Frau atmet hörbar schwer.
    »Hier ist Zoe Kessler. Die Enkeltochter von Walter Sinn. Ich wollte nur mal fragen, ob mit dem Haus alles in Ordnung ist.«
    »Was sollte denn nicht in Ordnung sein?«
    Die alte Frau klingt schnippisch. Als sei es schon ein Affront zu vermuten, dass in ihrer grünen Oase irgendwas nicht hundertprozentig in Ordnung sei.
    »Schon gut. Ich will auch nicht weiter stören«, sagt Zoe schnell. Sie hat ja schon die Auskunft, die sie haben wollte. Wenn die Bullen heute Morgen bei dieser schwarzen Witwe der schwarzen Rose gewesen wären, würde die das Zoe sofort mitteilen. Vor allem, wenn die Hütte ihres Opas Anlass für den peinlichen Besuch gewesen wäre.
    Sie grinst ihr Telefon an. Klar. Walter Sinn. Über den Namen des Besitzers kommen die Bullen nicht auf sie. Das verschafft ihr Zeit. Immer vorausgesetzt, Carl verrät sie nicht. Aber wenn er das bis jetzt nicht getan hat, warum sollte er es dann überhaupt noch tun? Sie fühlt eine schaurige Welle in sich. Er steht wirklich zu ihr, steht vor ihr. Er beschützt sie. Es fühlt sich gut an. Was immer auch geschehen wird, sie gehören zusammen. Dieses unsichtbare Band, das sie vom ersten Moment an zwischen sich und dem Neuen gefühlt hat, hält.
    Sie lässt sich ins Gras fallen.
    Vielleicht kann sie ja zusammen mit Carl in den Lkw steigen. Sie nehmen die Kohle und fahren gen Süden. Sie stellt sich vor, wie sie während der Fahrt zusammen hinten in der Koje liegen und immer nur in den Himmel gucken. Ein winziges Fenster mit blauem Inhalt. Wie sie sich umgucken in der Miniaturwelt des Brummifahrers und sich angrinsen.
    Sie ignoriert, dass sie zur Schule gehen müssen. Dass sie zur Schule gehen will. Dass ihre Eltern sie nach einer verschollenen Nacht mit Interpol suchen lassen würden. Dass sie sich eigentlich ein Leben ohne das glucksende Lachen von Franzi gar nicht vorstellen kann. Sie gönnt sich ganz kurz den befreienden Traum. Stellt sich vor, wie sie am späten Nachmittag irgendwo am Meer ankämen. Sich mit dem salzigen Meer den salzigen Schweiß abwaschen würden.
    Sie stellt sich vor, wie sie sich ein Wohnmobil am Strand mieten würden. Kein Hotelzimmer. Das hat so einen komischen Beigeschmack. Sie würde in der Kabine über den Sitzen schlafen. Sie hat sich so etwas immer gewünscht. Ging natürlich nicht. Wohnmobile sind nicht rollstuhltauglich. Sie würde sich wie in einer Höhle zusammenrollen und aus dem winzigen Fenster die ganze Zeit aufs Meer schauen.
    Carl würde sie morgens wecken, indem er ihr wortlos einen Kaffee nach oben reichte. Sie würde sich die Augen reiben, einen verschlafenen Schluck nehmen, ihren Ring anlegen und zu ihm runtersteigen.
    Der Film hakt. Sie kann nicht weiterspinnen. Sie sehnt sich neue Bilder herbei. Aber ein Fehler hat sich eingeschlichen. Sie setzt sich auf. Guckt panisch rum. Hat einen Moment Mühe, sich in der Realität zurechtzufinden. Sie guckt an sich runter, sieht es sofort. Der Ring ist weg. Ihre Hände starren sie nackt an. Sie erinnert sich. In der ersten kurzen Pause am Morgen war sie auf dem Klo gewesen. Hatte brechen müssen. Danach hatte sie sich den Mund mit Seife ausgewaschen und dafür den Ring abgenommen. Und wahrscheinlich liegen lassen. Scheiße. Die Bilder von Sonne, Strand, Käse, Brot sind verschwunden. Sie ist zurück in der Realität und die sagt ihr ganz klar: Du musst zurück in die Schule. Sie muss gucken, ob der Ring noch an dem Waschbecken in der zweiten Etage liegt. Sie steigt sofort aufs Rad, tritt in die Pedale. Sie weiß, dass eigentlich was anderes wichtiger wäre. Sie eigentlich überlegen müsste, was zu tun ist. Wie sie reagieren, agieren sollte. Aber das muss jetzt kurz warten. Sie braucht erst ihren Ring wieder. Ohne den geht gar nichts. Völlig atemlos kommt sie an der Schule an. Die sechste Stunde ist gerade vorbei. Sie rennt die Treppe hoch, nimmt zwei Stufen auf einmal und steht vor Carl. Er kommt aus ihrer Klasse als sei nichts passiert.
    Sie starrt ihn an.
    »In zehn Minuten am Klotz«, zischt er ihr zu.
    Sie nickt benommen, geht einfach weiter. Richtung Toilette. Sie sieht gar nicht, dass Saskia und Julian ihr entgegenkommen und sie erstaunt ansehen. Ihre weiße Jeans ist völlig verdreckt, die Haare strähnig und verschwitzt, der
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