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Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Autoren: Simone Buchholz
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gebratene Nudeln mit Huhn. Am dritten Tag gab es wieder Nudeln, aber diesmal waren sie nicht gebraten, sondern es gab eine klebrige, scharfe Sauce dazu. Ziemliche Sauerei. War schwierig zu essen. Der Wolfsmann band Angel und Yannick los, er band sie tatsächlich beide los, zum ersten Mal, seit sie hier waren. Dann aßen sie zu dritt aus zwei Styroporpackungen. Die Kellner aus dem asiatischen Restaurant glaubten ihm die Geschichte mit dem kranken Freund. Oder sie fanden einfach, dass man einem Obdachlosen rund um Weihnachten ruhig auch mal zwei Portionen Essen ausgeben kann.
    Abends, als alle müde wurden, band der Wolfsmann Angel und Yannick wieder fest. Irgendwie fühlten sich die drei wohler so. Dass eine Glühbirne anblieb, war inzwischen selbstverständlich.
    Am vierten Tag brachte der Wolfsmann von seinem Mittagsausflug nicht nur etwas zu essen und zu trinken mit, sondern auch ein Scrabble-Spiel. Das hatte er in der Tauschbox am Paulinenplatz gefunden. Es gab da immer mal wieder tolle Sachen. Er besorgte sich dort regelmäßig Bücher, las sie und stellte sie zurück. Angel und Yannick spielten Fangen, als er in den Keller stieg, und zwischendrin küssten sie sich. Er freute sich, als er die beiden so ausgelassen sah.
    Nach dem Essen, es gab gebratenen Reis mit Huhn, holte der Wolfsmann das Scrabble-Spiel aus seinem Mantel. Sie legten die beiden Matratzen so, dass sie sich gegenübersaßen, das Spiel stellten sie in die Mitte. Sie brauchten eine Weile, bis es sich zurechtruckelte, wie immer, wenn man Scrabble spielt, aber dann klappte es ganz gut. Es klappte sogar wie am Schnürchen. Sie legten Worte wie die Weltmeister. Weder Angel noch Yannick konnten sich daran erinnern, dass ihre Eltern jemals mit ihnen gespielt hätten, was auch immer. Die Eltern des Wolfsmannes hatten mit ihm gespielt. Aber das war in einem anderen Leben, in einer anderen Welt gewesen. Als er dran war, legte er das Wort Wolkenbruch.
    Angel nickte anerkennend, sah ihm ins Gesicht und legte das Wort Hackfresse. Seine Mundwinkel fingen an zu zittern, aus seinem Inneren kam ein Keuchen, und dann brach es hervor, das lauteste Lachen, das Angel jemals gehört hatte. Yannick war kurz zusammengezuckt. Aber dann lachten sie alle drei, und sie konnten einfach nicht mehr aufhören damit.
    Als sie müde wurden, schoben sie die Matratzen zusammen und legten sich hin. Angel in der Mitte, rechts Yannick, links der Wolfsmann. War doch wärmer so.

    Am fünften Tag lag eine seltsame, ganz neue Traurigkeit im Keller herum. Gestern zu viel gelacht. Und dem Wolfsmann war in der Nacht klargeworden, dass es vorbei war. Dass er die beiden gehen lassen musste, am besten gleich. Yannick und Angel wussten es auch. Sie aßen noch zusammen, es gab einen Sack voller Frühlingsrollen. Dann schoben sie die Matratzen an die Wand und ließen sich vom Wolfsmann sein Leben erzählen. Diesmal war es Angel, die weinen musste.
    Gegen Abend, es war kurz vor sieben, gab der Wolfsmann ihnen die Telefone zurück. Sie setzten die Akkus ein, machten die Geräte an und lasen all die Nachrichten und sahen all die vergeblichen Anrufe.
    »Die haben uns gesucht«, sagte Angel.
    »Die suchen euch immer noch«, sagte der Wolfsmann. Er hatte die Polizisten durchs Viertel streifen sehen, immer wieder. Er war ein paar Mal kurz davor gewesen zu sagen: Kommt mit, ich zeige euch, wo die Kinder sind. Und dann dachte er: Nur ein bisschen noch.
    Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, bis Angel und Yannick beschlossen, jetzt zu gehen.
    Der Wolfsmann brachte sie nach oben, schob sie durch den Kleiderschrank in den alten Laden, schloss die Tür auf und hob das Gitter aus den Angeln. Weil er nicht sehen wollte, wie sie davongingen, drehte er sich um und verschwand wieder in seinem Keller.
    *
    Das Möwe Sturzflug ist auch wieder so ein Ding. Eine Bar, wie es nur noch ganz wenige gibt auf Sankt Pauli. Da kann einer wie der Faller neben einer wie mir sitzen, und niemand findet es komisch. Da sitzen eigentlich nur Typen wie wir rum, die sind durch die Bank relativ verlebt, verkantet, verschickt, alle sehen irgendwie besonders aus, aber keiner besonders gut. Im Möwe Sturzflug trifft sich die Ureinwohnergemeinschaft und nicht die Eigentümergemeinschaft. Die Fenster sind alt, wellig und bodenlang, von den Wänden bröckelt der Putz, die Gäste sitzen am angeritzten Tresen und auf tiefergelegten, fransigen Sofas, in den Ecken stehen gebrechliche Stehlampen mit roten und gelben Schirmen. Aus den
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