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Eisnacht

Eisnacht

Titel: Eisnacht
Autoren: Sandra Brown
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das Eis auf der Scheibe zu matschigem Schnee zu schmelzen, den die Scheibenwischerblätter beiseiteschieben konnten. Allerdings kamen sie nicht gegen den dichten Eisregen an. Lillys Blickfeld war gefährlich eingeschränkt, das würde sich erst ändern, wenn sie unten im Tal war. Sie hatte keine andere Wahl, als die kurvige Mountain Laurel Road hinunterzufahren.
    Die Straße war ihr vertraut, aber so vereist war sie noch nie gewesen. Lilly beugte sich über das Lenkrad und spähte durch die schlierige Windschutzscheibe, bemüht, etwas jenseits der Kühlerfigur zu erkennen.
    Auf den Serpentinen schmiegte sie sich eng an den rechten Fahrbahnrand und die Felswand, denn sie wusste, dass an der anderen Straßenseite ein Abgrund drohte. Sie ertappte sich dabei, wie sie in den Haarnadelkurven den Atem anhielt.
    Die Fingerspitzen waren trotz der Handschuhe so kalt, dass sie fast taub waren, aber die Handflächen, die das Lenkrad umklammerten, waren verschwitzt. Vor Anspannung begannen die Muskeln in ihren Schultern und ihrem Nacken zu brennen. Ihr ängstlicher Atem ging immer stockender.
    In der Hoffnung, ihr Blickfeld zu vergrößern, rieb sie mit dem Mantelärmel über die Windschutzscheibe, aber damit verschaffte sie sich lediglich einen besseren Ausblick auf den dichten Hagelschleier.
    Dann sprang ganz unerwartet eine menschliche Gestalt aus dem Wald am Straßenrand direkt vor ihr Auto.
    Instinktiv stieg sie auf die Bremse und entsann sich zu spät, dass man auf einer vereisten Straße auf gar keinen Fall abrupt bremsen sollte. Der Wagen kam ins Schleudern. Die Gestalt im Scheinwerferlicht machte einen Satz zur Seite und versuchte sich zu retten. Mit blockierenden Rädern und wild schwänzelndem Heck schlitterte der Wagen daran vorbei. Lilly spürte einen dumpfen Schlag an der hinteren Stoßstange. Mit einem üblen Gefühl im Magen erkannte sie, dass sie ihn getroffen hatte.
    Das war ihr letzter peinigender Gedanke, bevor der Wagen gegen einen Baum krachte.

Kapitel 3
    Der Airbag explodierte, knallte ihr ins Gesicht und stieß eine Puderwolke aus, die ihr den Atem raubte und das Wageninnere ausfüllte. Instinktiv hielt sie die Luft an, um den Puder nicht einzuatmen. Der Gurt schnitt ihr wie ein Messer in die Brust.
    In einem abgetrennten Teil ihres Gehirns registrierte sie erstaunt die Wucht des Aufpralls. Es war eine relativ schwache Kollision gewesen, trotzdem war sie wie gelähmt. Im Geist ging sie ihre Körperteile durch und kam zu dem Schluss, dass sie nirgendwo Schmerzen spürte, sondern nur erschrocken war. Aber der Mensch, den sie gestreift hatte… »O Gott!«
    Sie schlug mit den Händen den erschlaffenden Airbag beiseite, löste den Gurt und schob die Tür auf. Als sie aus dem Wagen kletterte, verlor sie den Halt unter den Füßen und kippte vornüber. Ihr Handballen schlug schmerzhaft auf den vereisten Asphalt, genau wie ihr rechtes Knie. Es tat höllisch weh.
    Sich an der Karosserie haltend, humpelte sie zum Heck. Die Augen mit einer Hand gegen den Wind abgeschirmt, sah sie eine reglose Gestalt auf dem Rücken liegen, Kopf und Bauch auf dem schmalen Seitenstreifen, die Füße quer auf der Fahrbahn. An der Größe der Wanderschuhe erkannte sie, dass das Opfer ein Mann war.
    Als würde sie auf Schlittschuhen über den spiegelglatten Asphalt gleiten, arbeitete sie sich zu dem Mann vor und ging neben ihm in die Hocke. Er hatte eine Strickmütze über Ohren und Augenbrauen gezogen. Seine Augen waren geschlossen.
    Sie konnte keine Bewegung seines Brustkorbs feststellen, die darauf hingedeutet hätte, dass er atmete. Darum wühlte sie sich mit ihren Fingern unter den Wollschal, um seinen Hals unter dem Mantelkragen und unter dem Rollkragen seines Pullovers nach einem Puls abzutasten.
    Als sie einen spürte, flüsterte sie: »Gott sei Dank, Gott sei Dank.«
    Aber dann bemerkte sie den größer werdenden dunklen Heck auf dem Stein unter seinem Schädel. Sie wollte schon den Kopf anheben und nach der Quelle des Blutes sehen, als ihr einfiel, dass man einen Verletzten mit einer Kopfwunde möglichst nicht bewegen soll. War das nicht eine der Grundregeln für Erste Hilfe? Womöglich hatte er eine Rückgratverletzung, die sich verschlimmern oder ihn gar umbringen konnte, wenn er bewegt wurde.
    Sie hatte keine Möglichkeit festzustellen, wie schwer die Kopfverletzung war. Und damit meinte sie die sichtbare Kopfverletzung. Welche Verletzungen hatte er sich noch zugezogen, von denen sie nichts ahnte? Innere Blutungen, eine
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