Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisnacht

Eisnacht

Titel: Eisnacht
Autoren: Sandra Brown
Vom Netzwerk:
Witz. Der Chief war ein Großstadtdetective auf dem absteigenden Ast, den man aus seinem früheren Department rausgeworfen hatte.
    Chief Dutch Burton führte eine Riege unfähiger Kleinstadtpolizisten - Dorfdeppen in geschniegelten Uniformen und mit funkelnden Polizeimarken -, die schon fast überfordert gewesen waren, den Sprayer zu fangen, der die Müllcontainer hinter der Texaco-Tankstelle mit Obszönitäten besprüht hatte.
    Jetzt konzentrierten sie sich auf die fünf ungeklärten Vermisstenfälle. Trotz ihrer Beschränktheit waren die Gesetzeshüter von Cleary zu dem Schluss gelangt, dass es höchstwahrscheinlich doch kein Zufall war, wenn in einer kleinen Gemeinde innerhalb von zweieinhalb Jahren insgesamt fünf Frauen verschwanden.
    In einer Großstadt wäre diese Statistik von anderen, grausigeren überschattet worden. Aber hier, in dieser bergigen, dünn besiedelten Gegend schlugen die Wogen hoch, wenn fünf Frauen verschwanden.
    Außerdem herrschte allgemein die Auffassung, dass die vermissten Frauen einem Verbrechen zum Opfer gefallen waren, weshalb sich die Behörden darauf konzentrierten, menschliche Überreste und nicht die Frauen selbst zu finden. Es würde jedenfalls Verdacht erregen, wenn jemand mit einer Schaufel durch den Wald spazierte.
    So wie Tierney.
    Bis jetzt hatte er das Radar unterfliegen können und es vermieden, die Neugier von Police Chief Burton auf sich zu ziehen. Es war extrem wichtig, dass das so blieb.
    Im Rhythmus seiner Schritte rekapitulierte er die wichtigsten Daten der Frauen, die in den Gräbern unter dem Gipfel lagen. Carolyn Maddox, eine Sechsundzwanzigjährige mit tiefem Busen, schönem schwarzem Haar und großen braunen Augen. Seit letztem Oktober vermisst gemeldet. Sie war die alleinerziehende Mutter eines zuckerkranken Kindes und hatte in einer der kleinen Pensionen am Ort als Zimmermädchen gearbeitet. Ihr Leben war ein freudloser, endloser Reigen aus Mühsal und Erschöpfung gewesen.
    Jetzt hatte Carolyn Maddox umso mehr Frieden und Ruhe. Genau wie Laureen Elliott. Blond, übergewichtig und alleinlebend, hatte sie als Krankenschwester in einer örtlichen Klinik gearbeitet.
    Betsy Calhoun, eine verwitwete Hausfrau, war die Älteste.
    Torrie Lambert, die Jüngste, war außerdem die Erste, die Hübscheste und die Einzige, die nicht aus Cleary stammte.
    Tierney ging schneller, als könnte er seinen verstörenden Gedanken ebenso entfliehen wie dem Wetter. Eine dünne Eisschicht begann die Zweige mit langen Ärmeln zu überziehen. Die Steine bekamen eine Glasur. Die steile, gewundene Straße nach Cleary hinunter wäre schon bald unpassierbar, und er musste um jeden Preis von diesem gottverfluchten Berg verschwinden.
    Zum Glück ließ ihn sein eingebauter Kompass nicht im Stich, er trat keine zehn Meter von der Stelle entfernt aus dem Wald, an der er ihn betreten hatte. Es überraschte ihn nicht, dass sein Wagen mit einer dünnen Eis und Graupelschicht überzogen war.
    Schwer atmend und dicke Dampfwolken in die kalte Luft blasend näherte er sich dem Auto. Der Abstieg vom Gipfel war kräftezehrend gewesen. Vielleicht waren sein schwerer Atem und der rasende Puls aber auch ein Zeichen seiner Angst. Oder seiner Frustration. Oder seiner Reue.
    Er legte die Schaufel in den Kofferraum. Dann schälte er die Latexhandschuhe ab, die er getragen hatte, warf sie ebenfalls in den Kofferraum und schlug die Klappe zu. Er stieg ein, schloss hastig die Tür und genoss den ersehnten Schutz vor dem beißenden Wind.
    Bibbernd blies er in die Hände und rieb sie kräftig, in der Hoffnung, das Blut in seine Fingerspitzen zurückzutreiben. Die Latexhandschuhe musste er tragen, aber sie schützten nicht vor der Kälte. Er zog ein Paar mit Kaschmirwolle gefütterte Lederhandschuhe aus der Manteltasche und streifte sie über.
    Dann drehte er den Zündschlüssel.
    Keine Reaktion.
    Er drückte mehrmals aufs Gaspedal und probierte es wieder. Der Motor keuchte nicht einmal. Nach mehreren erfolglosen Versuchen lehnte er sich zurück und starrte auf die Anzeigen im Armaturenbrett, als erwartete er, sie würden ihm mitteilen, was er falsch machte.
    Ein letztes Mal drehte er den Schlüssel, aber der Motor blieb stumm und tot wie die Frauen, die so respektlos in der Erde verscharrt worden waren.
    »Scheiße!« Er donnerte beide behandschuhten Fäuste aufs Lenkrad und starrte durch die Scheibe, ohne etwas zu erkennen. Der Eisfilm hatte die Windschutzscheibe komplett überzogen. »Tierney«, murmelte er, »du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher