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Eiskalte Hand

Eiskalte Hand

Titel: Eiskalte Hand
Autoren: Claudia Muther
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Skepsis mit. „Ja, ich schaffe das.“, gab Doran Zi mit bestimmtem Tonfall zurück. Dabei waren die Worte mehr an die eigene Person gerichtet als an Mia. Doch es erschien offenkundig, wie sehr Schmerz und Müdigkeit in ihm tobten. „Nun gut“, sagte Mia trocken, „ihr geht voran. Ich sichere euch mit einem Seil.“ Rasch griff sie in ihre Tasche und förderte ein langes dünnes Seil zutage, das sie dem alten Mann um die Hüfte band. Das andere Ende schlang sie um die unterste Sprosse der nach oben führenden Leiter und verknotete es. Dann nahm sie das Seil fest in ihre Hände, damit Doran Zi auf keinen Fall abstürzte. „Auf geht’s!“
     
    Mit einem mulmigen Gefühl sah Mia den alten Mann langsam nach unten steigen. Schritt für Schritt quälte er sich im wahrsten Sinne des Wortes die Treppe hinab. Es ging entsetzlich langsam voran. Und Mia ertappte sich selbst bei dem Gedanken, dass es vielleicht gar nicht so schlimm sei, wenn der alte Mann abrutschen und in die Tiefe stürzen würde. Natürlich sollte er sich nicht ernsthaft verletzen. Aber wenn er das Bewusstsein verlöre, könnte sie ohne diesen Ballast weitergehen und schneller an ihr Ziel gelangen. Durchaus verlockend! Ihr wurde plötzlich ganz warm. Und sie meinte sogar, ein fernes leises Gelächter zu vernehmen. Die Verlockung, das Sicherungsseil einfach loszulassen, ließ ihre Finger heftig kribbeln. Nur einmal kurz lösen. Vielleicht reichte das ja schon…
     
    Hastig schob sie den Gedanken beiseite und packte das Seil extra fest. Sie war entsetzt über sich selbst. Woher kamen bloß solche Gedanken? Und warum wirkten sie so verlockend auf sie? Mia hatte keine Antworten auf diese Fragen. Doch sie musste etwas tun. Also fing sie leise an vor sich hinzusingen. Nach einigen Minuten, die sich wie ein halbe Ewigkeit hinzuziehen schienen, kam dann der ersehnte Ruf von unten: „Alles klar. Ich bin angekommen.“ Die junge Frau atmete tief durch. Dann schwang sie sich ebenfalls auf die Leiter und kletterte zügig hinab. Unten angekommen, sah sie Doran Zi an die Wand gelehnt auf dem Boden sitzen. Er schnaufte immer noch von der Anstrengung.
     
    Derweil schaute Mia sich in dem Raum um, in dem sie gelandet waren. Das schmale hallenförmige Gewölbe erstreckte sich über eine ziemliche Strecke. Wie weit es genau ging, konnte sie nicht erkennen. Dazu war es einfach zu dunkel. Vorsichtig half Mia Doran Zi auf die Beine. Gemächlich schritten sie durch den Korridor und blickten neugierig nach links und rechts. Zu beiden Seiten waren in regelmäßigen Abständen Nischen in die Wände eingelassen. Darin standen kleine Skulpturen, die verschiedene humanoide Wesen darstellten. Jedes sah anders aus. Doch alle wirkten auf perfide Weise entstellt. Und zugleich übten sie eine Faszination auf Mia aus. Sie musste immer wieder hinschauen: die missgestalteten Körper, die Tentakel, Hörner und Klauen, die fangbewehrten Fratzen. Manche besaßen lange Schwänze, die in ein keulenförmiges Ende ausliefen. Andere trugen imposante Schwingen auf dem Rücken. Alle wirkten regelrecht lebendig, obwohl sie eindeutig aus Stein waren. Dennoch… Ein kalter Schauer fuhr Mia den Rücken herab. Instinktiv wollte sie die Schritte beschleunigen, doch mit dem alten Mann an ihrer Seite ging das schlicht und einfach nicht. Also weiter im Schneckentempo.
     
    Endlich erreichten sie das Ende des Korridors. Eine kleine hölzerne Flügeltür war hier in Augenhöhe direkt in die Wand eingelassen. Vielleicht einen halben Meter im Quadrat. Kunstvoll gearbeitete Beschläge aus einem silberfarbenen Metall zierten Ecken und Ränder der Tür. In der Mitte war ein kreisrundes Siegel angebracht, das das Wappen des Hauses Lun trug – und zwar so, dass man es zwangsläufig brechen musste, wollte man die Tür öffnen. Mia schluckte. Sie wusste instinktiv, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Hinter der Tür wartete das Artefakt auf sie. Nun war es an ihr, das Siegel zu brechen und das Artefakt zu aktivieren. Und sie hoffte inständig, nicht versehentlich irgendwelche weiteren Schutzmechanismen oder –zauber auszulösen. Doran Zi stand keuchend neben ihr und blickte sie erwartungsvoll an. Schweiß lief ihm von der Stirn. Keiner sagte ein Wort.
     
    Ganz langsam und zögerlich streckte Mia ihre rechte Hand aus. Immer näher kamen ihre Fingerspitzen dem Siegel. Und insgeheim erwartete Mia jeden Moment einen Stromschlag oder sonst irgendeine Überraschung. Doch die blieb aus. Als sich ihre Finger leicht auf
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