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Eisige Versuchung

Eisige Versuchung

Titel: Eisige Versuchung
Autoren: Sandra Henke
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aufzutreten, als sie war.
    Behutsam strich er mit seinem Daumen über den Gecko auf ihrer Stirn und zog ihr die Mütze ab. »Du hast kurze Haare wie ein Mann.«
    »Und du lange Haare wie eine Frau.«
    »Ich bin ein Eisengel«, erwiderte er, als handelte es sich um ein drittes Geschlecht. Vielleicht war es das sogar.
    Sie ließ ihren Blick an ihm hinabgleiten. »Für mich siehst du aus wie ein Kerl.« Und zwar wie einer, dem alle Frauen der Welt zu Füßen gelegen hätten, wenn er nur nicht so grimmig dreingeschaut hätte.
    Erneut schaltete sich ihr Kopfkino ein, ohne dass sie es verhindern konnte. Sie fragte sich, was geschähe, wenn sein Schaft sich aufrichtete, weil er sie ebenso attraktiv fand wie sie ihn. Würde er diesen seltsamen Lendenschurz anheben oder durch die Schneeflocken hindurchstoßen und seine kecke Spitze sich ihr entgegenrecken?
    Als hätte er ihre frivolen Gedanken erraten, funkelten die Augen des Fremden lüstern. Shade gab einen erstaunten Laut von sich, denn seine Iriden veränderten sich daraufhin. Sie wechselten von einem sehr hellen Blau in ein Kaleidoskop von Farben. Wie Licht, das sich in einem Eiskristall bricht. Doch schon im nächsten Moment wurde der Regenbogen immer dunkler, bis seine Augen schließlich das dunkle Blau eines tiefen kalten Bergsees annahmen.
    Shades Furcht gewann die Übermacht, denn sie spürte den Sog des Wassers, so irrsinnig es ihr selbst erschien. Der Wunsch, sich hineinzustürzen, wurde immer drängender, obwohl ihr bewusst war, dass das ihren sicheren Tod bedeutet hätte.
    Mühsam riss sie sich los und taumelte den Hang hinab. Doch der Eisengel flog einfach über sie hinweg und landete vor ihr, sodass sie jäh anhalten musste, um nicht mit ihm zusammenzuprallen.
    Sie wich nach rechts aus und lief auf derselben Höhe weiter, um nach ein paar Metern erneut zu versuchen, hinabzusteigen, denn sie musste zu ihrem Geländewagen gelangen. Eine andere Chance, dem Unbekannten zu entkommen, sah sie nicht, wenn sie nicht zufällig einem Ranger oder Touristen begegnete. Darauf durfte sie sich nicht verlassen.
    Bei jedem Schritt knackte es unter ihren Stiefelsohlen. Die oberste Schicht der Schneedecke gefror, dabei war es gar nicht klirrend kalt. Als der Engel ihr ein zweites Mal den Weg versperrte, rutschte sie aus und fiel schmerzhaft auf ihr Gesäß.
    Doch sie rappelte sich ebenso schnell wieder auf und stürmte den Hang hinab. Merkwürdigerweise war der Schnee hier bereits angetaut. Das Laufen glich einer Rutschpartie. Sie ruderte mit ihren Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Plötzlich geriet sie ins Schlittern und konnte sich gerade noch an einem Baum festhalten.
    Shade fluchte laut, war allerdings froh, erst einmal Halt zu haben. Sie kam jedoch nicht dazu, durchzuatmen, denn der Eisengel stand längst, an den Stamm gelehnt, neben ihr, roch provokant an ihrer Mütze, die er immer noch in der Hand hielt, und schmunzelte überlegen.
    »Na warte!«, dachte Shade keuchend. Gereizt bückte sie sich, hob eine Handvoll Schnee auf und warf sie ihm ins Gesicht. Sie war clever genug, nicht auf seine Reaktion zu warten, sondern setzte ihren Weg ins Tal fort.
    Weit kam sie nicht, denn ihre Beine versanken bis zu den Knien im weißen Bodenbelag. Stöhnend stapfte sie voran, als auch schon der Wind wieder einsetzte, doch diesmal wehte er nicht vom Berg herab, sondern kam aus dem Tal.
    Das alles ging nicht mit rechten Dingen zu. Inzwischen fielen die Flocken wieder dicht vom Himmel, sodass Shade ständig blinzeln musste. Sie merkte erst, dass der Fremde direkt vor ihr stand, als sie mit ihm zusammenstieß. Ihre Handflächen lagen auf seinem muskulösen Brustkorb. Er hielt sie an den Armen fest und sah ihr tief in die Augen.
    Für einen Moment stand die Welt still. Von einer Sekunde auf die andere hörte es auf, zu stürmen und zu schneien. Nicht eine einzige Schneeflocke fiel mehr herab. Der Eisengel musste diesen absonderlichen Winter kontrollieren. Wie das funktionierte, übertraf Shades Vorstellungskraft.
    Seine Iriden schimmerten wieder in Regenbogenfarben. Wie gebannt beobachtete Shade das farbige Funkeln, sie konnte gar nicht anders, und krallte ihre Finger in den Oberkörper des Fremden, bis sie spürte, dass sich die Muskeln unter seiner Haut anspannten. Erst da ließ sie lockerer.
    War dieses faszinierende Schillern wirklich ein Zeichen seines Begehrens? Oder fungierte dieses Phänomen nicht vielmehr als Köder, der sie ins Verderben stürzen würde? Immerhin wusste sie,
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