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Eisige Versuchung

Eisige Versuchung

Titel: Eisige Versuchung
Autoren: Sandra Henke
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»Ich bin Meteorologin und möchte herausfinden, warum es über dem Mount Jackson – und nur hier – so früh im Jahr schneit.«
    »Das kann ich Ihnen sagen.« Er zog seine Schneeschuhe aus, klopfte sie ab und stellte sie unter den Carport. Bei den Bärentatzen handelte es sich keineswegs um moderne Modelle aus Aluminium oder Kunststoff, sondern sie waren aus Holz gefertigt und mit Leder bespannt worden – und das vor einer augenscheinlich sehr langen Zeit. Er dämpfte seine Stimme, nicht etwa verschwörerisch oder ängstlich, sondern vielmehr ehrfürchtig, so erschien es Shade. »Mit Roque kam auch der Schnee.«
    Ihr Herz pochte schneller – nicht allein, weil sie aufgeregt war, dem Geheimnis um den Winter ein Stück näher zu kommen, sondern auch, da sie mehr über diesen mysteriösen Mann, der ihr ebenso so anziehend wie tödlich vorkam, herausfinden wollte. »Wie meinen Sie das?«
    »Ich bin der Ältere von uns beiden, wenn auch nur unwesentlich.« Er zwinkerte und lockerte den grau-beige gestreiften Schal um seinen Hals. »Sind Sie einverstanden, wenn wir uns duzen?«
    »Gern.« Sie ging zu ihm, darum bemüht, dass er nicht merkte, wie sie immer wieder kurz in die Baumwipfel spähte, denn sie wurde das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden, und schüttelte ihm die Hand. »Ich heiße Shade Mallory.«
    »Man nennt mich Art.« Er öffnete die Tür, sie war nicht verschlossen, und ließ Shade den Vortritt. »Arthur Ehrman. Willkommen in meinem bescheidenen Heim! Tritt ein. Drinnen ist es warm. Der Kamin muss ständig brennen, sonst kühlt es zu schnell aus.«
    Tatsächlich war es in der Hütte so heiß, dass Shade als Erstes ihre Skijacke ablegte. Schal, Handschuhe und Kamera legte sie auf den Tisch, der rechts neben dem Eingang stand. Das Holzhaus bestand nur aus einem einzigen Raum. Hinter dem Tisch schmiegten sich ein Gasherd und ein Regal mit Tellern, Tassen, Besteck und Kochutensilien an die Wand. Ein dunkelblaues Wollkleid mit einem rosenbestickten Tuch hing auf einem Kleiderbügel an dem Kleiderschrank gegenüber. Lebte er mit einer Frau hier? Das Bett – ein Einzelbett – daneben war genauso ordentlich hergerichtet wie der Rest der Einrichtung. Aber Shade ahnte, dass nicht Arthurs Ordnungsliebe der Grund war, sondern dass er schlichtweg wenig besaß, das hätte herumliegen oder stehen können. Eine weibliche Note wie Blumen, Deckchen oder Figuren erkannte sie nicht.
    »Schau nicht so schockiert! Ich liebe mein Häuschen. Kein Schloss könnte schöner für mich sein. Ich fühle mich hier so wohl wie nirgendwo anders.« Er stellte sein Gewehr neben den Eingang und ging zur Küchenzeile. Dort goss er Wasser von einem Eimer, der neben dem Herd stand, in einen Kessel, entflammte ein Kochfeld und setzte den Topf darauf. Erst dann hängte er seinen grau-braun karierten Lodenmantel in den Schrank, schob seinen Schal in einen der Ärmel und drehte sich weg, um seinen Hosenstall zu schließen. Als er zwei Tassen auf den Tisch stellte, hatten seine Wangen sich gerötet.
    »Ich stelle es mir nicht einfach vor, hier zu leben.«
    »Du meinst ohne Strom- und Wasseranschluss.« Er griff zwischen Bett und Kleiderschrank und holte eine Whiskeyflasche hervor, aus der er einen Schuss in jeden Becher gab. Seine Bluejeans waren verwaschen und an den Knien abgewetzt, aber sauber. Seine Lederstiefel allerdings würden diesen Winter nicht überleben, befürchtete Shade. »Mein Urgroßvater hat diese Hütte gebaut. Als er alt wurde und seine Frau starb, zog er sich hierhin zurück, weil für ihn ein Leben ohne die Liebe keinen Sinn mehr besaß.«
    Shade fiel auf, dass keine Fotos herumstanden. »Wie traurig!«
    »Keineswegs.« Er nahm eine Packung mit schwarzem Tee aus dem Regal und hängte je einen Beutel in die Tassen. »Die Familie hat ihn so oft besucht, wie es ihr möglich war. Angeblich fanden hier lustige Picknicks und Barbecues statt, und er soll sogar gesagt haben, sie sollten ihn mal in Ruhe lassen, sonst würde er noch beim Feiern sterben, und wie sähe das denn aus.«
    Als das Wasser kochte, stellte er den Herd ab und goss die brodelnde Flüssigkeit in die Tassen. »Mein Großvater tat es ihm gleich, weil er so gute Erinnerungen an den Lebensabend seines Dads gehabt hatte. Es wurde zur Tradition, dass die Alten auf den Mount Jackson zogen, wenn ihre Ehepartner dahingeschieden waren. Merkwürdigerweise gingen die Frauen in der Familie immer früher, aber das lag nicht an ihren Männern. Ich verbürge mich für
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