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Eischrysanthemen

Eischrysanthemen

Titel: Eischrysanthemen
Autoren: Angelika Murasaki
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weil Kira ihn so auffordernd anblickte, nahm er das Glas, um einen Schluck zu trinken. Der Whiskey war gut, brannte leicht in der Kehle und strahlte eine vollmundige Sanftheit in den ganzen Körper aus, die Vincent entspannte. Vielleicht hatten sie sich am Tag zuvor einfach auf dem falschen Fuß erwischt, dachte er ein wenig beruhigter und griff nach dem Diktiergerät, um es einzuschalten.
    „Ich werde das ganze Gespräch aufnehmen, wenn es Ihnen recht ist, denn ich möchte Ihre Worte natürlich richtig zitieren“, erklärte Vincent und runzelte die Stirn. Das Lämpchen des Diktiergeräts gab kein rotes Leuchten von sich. Es blieb aus und war auch durch Schütteln nicht dazu zu bewegen seine Funktion aufzunehmen.
    „Stimmt etwas nicht?“, erkundigte sich Kira mit sanfter Stimme, bevor er an seinem Whiskey nippte und den Eindruck erweckte, als hätte er alle Zeit der Welt. Vincent dagegen begann zu schwitzen.
    „Einen Moment bitte, etwas stimmt mit dem Diktiergerät nicht“, murmelte er und drehte das Gerät um, um nachzusehen, ob die Batterien vielleicht verkehrt herum eingelegt waren. Doch als er das entsprechende Fach öffnete, stellte er lediglich fest, dass die Batterien fehlten. Hatte er etwa vergessen sie einzulegen? Unmöglich! Vincent hatte doch extra eine neue Packung geöffnet! Oder? Unwillkürlich zuckte sein Blick hoch, zu Kira, der vor ihm saß, sich mit einem Arm auf der Bar abgestützt hatte, den Drink in der Hand. Dabei sah er aus, als wenn er kein Wässerchen trüben könnte.
    War es möglich, dass dieser elendige Kerl die Batterien entfernt hatte? Vincent war kurz davor zu fragen. Sei’s drum, dachte er. Er würde dann eben etwas mehr schreiben müssen.
    „Nun?“, erkundigte sich Kira, woraufhin Vincent sich verlegen durch das braune Haar fuhr, das ihm etwas ins Gesicht zurückfiel.
    „Ich würde sagen, dass wir beginnen können, wenn Sie auch soweit sind.“
    Kira nickte.
    „Sagen Sie mir doch, wie Ihnen London gefällt. Sind Sie das erste Mal in Großbritannien?“, begann Vincent mit Fragen zum Aufwärmen. Kira schien nicht der größte Redner zu sein, aber manche Menschen brauchten einfach eine Aufwärmphase. Schließlich war nicht jeder Künstler mitteilungsbedürftig, wie Vincent schon einige Male festgestellt hatte.
    „Ich bin das erste Mal in Großbritannien und London gefällt mir ganz gut“, antwortete Kira und starrte Vincent an. Vincent war irritiert. So kurz angebunden hatte ihm noch keiner geantwortet. Rasch sah er in seine Unterlagen, um weiter zu kommen.
    „Das Stück, das Sie derzeit in London aufführen, heißt Das Reihermädchen, warum wurde gerade dieses Stück für ein Gastspiel in London ausgewählt?“, erkundigte er sich weiter und versuchte sich nicht entmutigen zu lassen, auch wenn ihm längst schwante, dass Kira kein einfacher Interviewpartner sein würde.
    „Zum einen, weil es die erste Rolle war, die ich je einstudiert habe und zum anderen“, an dieser Stelle machte Kira eine kleine Pause und schenkte Vincent ein Lächeln, was seine regelmäßigen Zähne sehen ließ, „… weil die Geschichte keinen komplizierten Text hat und auch von Ausländern verstanden werden kann, die kein wirkliches Hintergrundwissen über die japanische Kultur haben.“
    Das saß. Vincent hielt die Hand über dem Papier und konnte sich nicht überwinden, diese Antwort einfach aufzuschreiben.
    „Sie sind also der Meinung, dass ein anderes Stück nicht verstanden werden würde?“, erkundigte er sich beherrscht, um seine Missstimmung nicht zu sehr zu zeigen.
    „Lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen – haben Sie das Stück verstanden?“, fragte Kira provokant und beugte sich soweit vor, dass Vincent einen Hauch von Aftershave in die Nase bekam.
    „Nun ... Ich denke, es geht um eine junge Frau ...“, begann Vincent langsam und fühlte sich etwas in die Ecke gedrängt. Er hatte sich die Zusammenfassung natürlich durchgelesen, aber ob er den tiefen Sinn des Ganzen verstanden hatte, bezweifelte er. Zu seinem Glück sprach Kira gleich weiter.
    „Bemühen Sie sich nicht. Ich werde Ihnen das Stück erklären. Im Buddhismus glauben wir, dass das Leben nach dem Tod nicht einfach endet, sondern dass die Seele, je nachdem ob der Mensch gut oder schlecht war, wiedergeboren wird. Genauso ist es mit dem Reihermädchen. Das ganze Stück ist ein Rückblick auf ihr Leben, als sie jung und verliebt war, wie diese Liebe zerbrach und die Eifersucht sie verzehrte, bis sie schließlich die
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