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Eischrysanthemen

Eischrysanthemen

Titel: Eischrysanthemen
Autoren: Angelika Murasaki
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Kira?
    „Schauen Sie nur, da ist der Mann, den ich suche. Bitte lassen Sie mich vorbei.“
    „Nein!“ Der Mann knurrte so aggressiv, dass Vincent erstaunt aufblicken musste. Nun mischte sich auch seine Frau ein, die ziemlich müde wirkte.
    „Georg, nun lass doch den jungen Mann vorbei, wenn er nur zu seinem Freund will“, seufzte sie, darum bemüht, keinen Streit aufkommen zu lassen.
    „Auf gar keinen Fall, dann kommen gleich die Nächsten, die angeblich ihre Freunde suchen und kaum, dass wir uns versehen, haben sich zig Leute vorgedrängelt.“
    Es entspann sich eine Diskussion zwischen dem Ehepaar, der Vincent nicht zuhören wollte. Seine Augen klebten nur an dem Mann, der ein Meer von Personen vor ihm war. Da er keine Lust hatte sich weiter mit dem Mann zu streiten, der ihn ohnehin um einen guten Kopf überragte und obendrein auch noch ganz definitiv schlecht gelaunt war, entschied sich Vincent für eine andere Taktik.
    „Kira!“, rief er über die Schlange hinweg in der Hoffnung, dass dieser ihn hören würde. Doch das Rauschen der vielen Stimmen fraß seine Bemühung. Er räusperte sich und brüllte lauter: „Kira!“
    Endlich regte sich die kleine Gruppe und blickte sich um. Vincent hob die Arme und winkte, während ihn der Familienvater von der Seite anfuhr.
    „Brüllen Sie hier doch nicht so rum!“, wies er Vincent zurecht, der gar nicht mehr auf ihn achtete. Seine Augen sahen nur noch Kira, der ihn endlich entdeckte. Erst zögerte er, doch dann sagte er etwas zu seinen Begleitern, die nickten. Voller Ungeduld wartete Vincent und umarmte Kira stürmisch, als dieser endlich vor ihm stand.
    „Warum hast du mich nicht geweckt? Ich wäre mit dir zum Flughafen gefahren!“, legte Vincent auch gleich mit den Vorwürfen los, ohne Kira aus der Umarmung zu entlassen.
    „Vincent, lass los, du zerquetschst mich ja“, wisperte Kira an Vincents Schulter.
    Nur widerwillig lockerte Vincent die Umarmung. Da einige Wartende nun Interesse für diese kleine Szene entwickelten, entschied Vincent Kira etwas zur Seite zu führen. Nicht zuletzt wegen der sich reckenden Köpfe, die zu Kiras Ensemble gehörten. Es war nicht einfach, ein einigermaßen ungestörtes Plätzchen zu finden, aber schließlich standen sie vor einer Werbetafel, in einiger Entfernung zum Schalter.
    „Warum hast du mich nicht geweckt?“, forderte Vincent noch immer zu wissen, wobei er seine Hände auf Kiras Schulter hielt.
    „Das habe ich dir doch im Brief geschrieben. Ich bin nicht gut im Verabschieden“, erklärte Kira etwas verlegen und hielt den Blick gesenkt.
    Langsam wurde Vincent klar, dass Kira sich keine Sorgen darum gemacht hatte, dass Vincent eine rührselige Szene hinlegen würde. Er selbst war nicht sicher gewesen, vor den Blicken des Ensembles seine kühle Haltung wahren zu können. Davon war Vincent sehr berührt.
    „Es muss ja kein tränenreicher Abschied werden, und bis jetzt hat noch keiner von uns beiden geweint“, murrte er schließlich und wusste selbst nicht, was er sagen sollte. Er war Kira eindeutig hinterhergelaufen, und da er das noch nie getan hatte, wusste er nicht, wie es nun weitergehen sollte.
    „Erst im Sommer wird es eine Pause im Theater geben. Darum habe ich dir das Ticket gekauft. Du kannst jederzeit zu mir kommen. Wann immer du willst.“ Ein wenig Lebendigkeit kehrte in Kiras Stimme zurück und ebenso die Röte in seine Wangen. Selbst ohne das Ohr an seine Brust zu pressen, sah Vincent an seinem Hals, wie sich Kiras Puls beschleunigt hatte. Die Entscheidung darüber hatte ihm Kira in die Hand gegeben. Ob er Kira wirklich wollte, oder ob seine Gefühle nach dem Abschied abkühlen würden.
    „Und wann blühen die Kirschblüten?“, fragte Vincent nach einer kleinen Pause, während seine Hände von Kiras Schultern auf die Oberarme glitten. Ihm war schon aufgefallen, dass Kira sich in der Nähe seines Ensembles distanzierter verhielt, aber Vincent hätte ihn dennoch gerne fest an sich gedrückt.
    „Sie fangen Anfang April an zu blühen“, lautete die Antwort, die Vincent die Zeit kurz überschlagen ließ. Das waren nicht einmal drei Monate, die sie dann getrennt sein würden. Dennoch zweifelte er nicht daran, dass ihm die Zeit wahnsinnig lang vorkommen würde. Schlussendlich hielt er es nicht mehr aus und drückte Kira mit aller Kraft an sich. Ihm stieg ein dezenter Duft in die Nase, der Kiras Kleidung anhaftete.
    „Und wenn ich nicht so lange warten will?“, murmelte er an Kiras Ohr und spürte, wie
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