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Eischrysanthemen

Eischrysanthemen

Titel: Eischrysanthemen
Autoren: Angelika Murasaki
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nicht, bis er das Interview in der Tasche hätte.
    Vollgeschneite Straßen ließen Vincent den Tag zu Hause verbringen, wobei der Pizzalieferdienst verhinderte, dass sein Magen sich all zu sehr beschwerte. Noch einmal bereitete er sich auf das Interview vor. Er blätterte das Buch über Kabuki durch und ordnete erneut seine Notizen. Ihm war klar, warum er so nervös war. Der feste Job, den er sich so sehr wünschte, hing von diesem Interview ab. Und ausgerechnet Kira musste über seinen Erfolg bestimmen.
    Der ganze Termin machte ihn nervös. Als er endlich in der U-Bahn stand, musste er über sich selbst den Kopf schütteln. Man rasierte sich zweimal für ein Date, um der Dame seines Herzens nicht mit stehen gebliebenen Bartstoppeln die Wangen aufzureißen, aber man rasierte sich ganz sicher nicht zweimal, um zu einem arroganten Kerl zu gehen, der nur ein paar Worte für einen übrig hatte. Hatte er wirklich seine besten Stoffhosen und das blaue Markenhemd, das ihm Gabriel zu Weihnachten geschenkt hatte, herausgekramt? Vincent hatte es nur ein einziges Mal getragen und zwar, als er zu seiner Mutter gefahren war. Seine Mutter hatte das Hemd sehr genau untersucht und behauptet, dass es nur das Geschenk einer Frau sein könnte. Vincent hatte sich dazu nicht geäußert, sich jedoch geschworen, es nie wieder zu tragen, wenn er zu seiner Mutter fuhr. Derartige Fragen und Kommentare wollte er dann doch lieber vermeiden.
    Das Hotel, in dem Kira residierte, war eindeutig Upperclass. Die Fassade war hell erleuchtet und die goldenen Buchstaben vor dem Eingang verkündeten klar und deutlich, dass hier Jeans und Turnschuhe eher unangebracht waren. Die Lounge war groß, geräumig und ziemlich leer.
    Vincent blickte sich um. Von Kira war nichts zu sehen. Und nachdem Vincent sich versichert hatte, dass es auch tatsächlich acht Uhr abends war, suchte er sich einen Platz und bestellte sich ein unerhört teures Mineralwasser. Eine halbe Stunde klammerte sich Vincent an sein Wasser, bis Kira endlich kam.
    Hätte er nicht jeden Mann, der die Lounge betrat, penibel gemustert, er hätte ihn vielleicht nicht erkannt. Kira trug eine schwarze Hose, einen schwarzen Rollkragenpullover und ein lässiges Sakko, und Vincent fühlte sich etwas overdressed. Er entdeckte ihn, als Vincent sich erhob, und steuerte auf ihn zu. Vincent überlegte, ob er sich verneigen sollte, wie es in Japan üblich war, oder ob er seinem Gesprächspartner lieber die Hand reichen sollte. Gestern war das alles untergegangen, doch heute wollte er nichts falsch machen. Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, da Kira ihm wie selbstverständlich die Hand reichte, selbst wenn der Händedruck sowohl zu lang, als auch viel zu weich war.
    „Guten Abend.“
    Kira erwiderte den Gruß und sah sich flüchtig um.
    „Vielleicht sollten wir an die Bar gehen. Da ist es ruhiger“, schlug er vor.
    Vincent nickte zustimmend. Ihm war es einerlei, wo sie saßen, Hauptsache er konnte sehen, was er schrieb und es war nicht so laut, dass er nicht mit seinem Diktiergerät arbeiten konnte.
    Die Bar war nicht sonderlich voll, die Gäste leise, und nachdem sich Kira und Vincent einen Platz am Ende der Bar gesucht hatten, legte Vincent sein Diktiergerät auf dem Tresen ab und die Papiere daneben.
    „Ich habe den Kugelschreiber wohl in der Lounge liegen lassen“, murmelte er und kramte in seiner Tasche herum, um einen anderen zu finden.
    „Sie können ihn doch holen“, schlug Kira entspannt vor. „In der Zwischenzeit kann ich etwas zu trinken bestellen. Gehen Sie ruhig, es sind ja nur ein paar Schritte.“
    Auf soviel Verständnis war Vincent nicht vorbereitet gewesen und darum entschuldigte er sich, bevor er die Bar verließ, um seinen Kugelschreiber zu holen, der zu seinem Glück noch immer auf dem niedrigen Tisch lag.
    Es hatte keine Minute gedauert, bis er wieder an der Bar saß, wo Kira bereits an einem Drink nippte. „Ich hoffe, Sie mögen Whiskey, denn ich habe mir die Freiheit genommen für Sie mitzubestellen“, sagte Kira und lächelte leicht. Für einen Augenblick verschwand die kühle Fassade. Erst jetzt, bei näherer Betrachtung, stellte Vincent fest, dass Kiras Augen braun waren. Die feinen Gesichtszüge mit den schräg gestellten Augen konkurrierten mit vollen Lippen und einer hellen feinen Haut, auf der so gut wie keine Unebenheiten zu finden waren. Sein Haar war nach der neusten Mode fransig geschnitten und umspielte sein Gesicht.
    „Ähm, danke“, gab Vincent zurück, und
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