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Eischrysanthemen

Eischrysanthemen

Titel: Eischrysanthemen
Autoren: Angelika Murasaki
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Vincent unverblümt und stand auf, um aus der Küche zwei Bier zu holen. Das brauchte er jetzt einfach und Marianne war durchaus eine gute Gesellschaft für ein solches Getränk. „Kann aber auch daran liegen, dass er nach all den Jahren, in denen er nur Frauen gespielt hat, langsam ihre Zickigkeit annimmt“, fuhr Vincent zwinkernd fort und reichte Marianne das geöffnete Bier.
    Marianne ließ die Spitze gar nicht erst zu sich durchdringen, sondern nahm die Flasche entgegen und nippte an dieser.
    „Gibt’s keine Frauen, die sich selbst spielen können?“, wollte Marianne nach einem Schluck wissen und lehnte sich bequem zurück.
    „Nein, alle Rollen werden von Männern gespielt.“ Da Vincent im Internet nicht die umfassenden Informationen gefunden hatte, die er brauchte, hatte er sich ein Buch über Kabuki gekauft. Er holte es vom Schreibtisch und blätterte zur entsprechenden Seite, um es Marianne zu reichen. „Die Frauen wurden, wie im englischen Theater, von der Bühne verbannt, weil dadurch die Prostitution gefördert wurde“, erklärte er. „Darum wurden alle Frauenrollen von Männern übernommen, was allerdings nur zum Aussterben der heterosexuellen Prostitution im Theater geführt hat.“ So abwegig war der Gedanke gar nicht, denn als Vincent Kira während der Vorstellung gesehen hatte, hatte er sich auch nur schwer vorstellen können, dass dort ein Mann agierte. Die Illusion war fast perfekt gewesen, und Vincent zweifelte nicht daran, dass es viele Jahre der Übung verlangte, diesen Effekt erzielen zu können. Umso erstaunlicher war jedoch, dass Kira in der Garderobe keine einzige weibliche Geste erkennen lassen hatte. Wenn er jetzt zurückdachte, war es das, was ihn am meisten irritiert hatte. Dieses vollständige Fehlen von tuntenhaftem Verhalten, was Vincent im Geheimen befürchtet hatte. Viel mehr hatte Kira, selbst noch im geschminkten Zustand, wie ein Mann gewirkt, nach dem sich Frauen auf der Straße zumindest einmal umdrehen würden.
    „Also ist er schwul?“, fragte Marianne sehr direkt und riss Vincent aus seinen Gedanken.
    „Ähm, ich glaube nicht ... Ich weiß nicht ... wie kommst du darauf?“ Es war manchmal gar nicht so einfach Mariannes Gedanken zu folgen.
    „Du hast doch gesagt, dass die Männer Frauen spielten und es dennoch zu ...“ half sie ihm auf die Sprünge, während Vincent heftig den Kopf schüttelte. Er brauchte noch zwei Schlucke Bier, bevor er antworten konnte. Wie war Marianne überhaupt auf diese skurrile Idee gekommen?
    „Meine Güte, das war vor mindestens hundertfünfzig Jahren! Ich glaube nicht, dass Kira homosexuell ist.“ Und kaum hatte er das gesagt, sah er sie auch schon grinsen. „Du verarschst mich, habe ich recht?“, sagte er trocken.
    „Ach, komm schon, die Idee, dass er vielleicht schwul sein könnte, wäre doch nett. Japaner halten sich im Bezug auf die eigene Homosexualität doch bedeckt. Stell dir nur vor, was für ein reißerischer Artikel das werden könnte!“ Marianne war von der Idee begeistert, Vincent eher peinlich berührt. Hatte sie etwa vergessen, dass er für ein Kulturmagazin schreiben sollte? Er versuchte, von dem Thema wegzukommen.
    „Nur, dass das Kulturmagazin kein reißerisches Blatt ist, und ich wüsste selbst nicht, warum es einen Kunstliebhaber interessieren sollte, ob ein Schauspieler nun Männer oder Frauen bevorzugt“, gab er ziemlich zugeknöpft zurück.
    „Du bist ein Spielverderber“, bescheinigte ihm Marianne und stellte ihre Flasche wieder auf den Tisch. Dann legte sie das Buch zur Seite und nahm ihre Katze auf den Arm. „Ich geh mal wieder rüber und bring die Kleine ins Körbchen“, verkündete sie weiter und küsste der Katze aufs Köpfchen. „Und du solltest es dir überlegen, ob du ihn nicht vielleicht doch nach seinen Präferenzen fragen solltest. Wie heißt es so schön, fragen kostet nichts.“ Mit diesen Worten verabschiedete sie sich und verließ Vincent samt Katze.
    „Wenn ich ihn das frage, dann wird er mir den Kopf abreißen“, murmelte Vincent und trank noch sein Bier aus, bevor er sich ins Bett begab.
     

Die Verstimmung des letzten Abends hielt auch noch am nächsten Morgen an. Das lag eindeutig daran, dass Vincent sich am Abend wieder mit Kira treffen würde. Er wusste nicht, warum, aber er bekam regelrechte Magenschmerzen, wenn er an diesen Kerl dachte. Selten hatte es jemand geschafft, Vincent in so kurzer Zeit zu missfallen. Und in diesem Fall durfte er es nicht zeigen. Zumindest so lange
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