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Eisblume

Eisblume

Titel: Eisblume
Autoren: Sybille Baecker
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seine Hände um ihre Hüften und zieht sie an sich.
    »Hallo, Lea«, flüstert er.
    Und aus war es. Vorbei.
    Ihr Traum endete immer an der gleichen Stelle, zerplatzte wie eine Seifenblase, die riesig und schillernd schön durch die Luft waberte, um dann am Kühlschrank anzustoßen und nichts als ein paar nasse Spritzer auf dem Boden zu hinterlassen.
    Lea griff nach ihrer Sporthose und schaute unter das Bett. Irgendwo mussten ihre Joggingschuhe doch sein.
    Vielleicht hieß er Tom. Max wäre auch nicht schlecht. Aber wer wusste schon, ob die in Australien ähnliche Namen hatten wie hier. Vielleicht hießen die Jungs da ganz anders. Egal. Auch für den hässlichsten Namen ließ sich irgendeine gute Abkürzung finden. Das sah man ja an Cloe.
    Sie sollte Cloe fragen, ob sie darauf bestand, dass ihr Name mit auf dem Schild stand. »Leas & Cloes Restaurant«. Ging auch noch. Aber »Leas Restaurant« klang einfach schöner, und man konnte es sich besser merken. Cloe würde das schon verstehen.
    Sie musste sich beeilen. Nicht mehr lange, und es würde dunkel werden. Sie hasste diese dämlichen Arbeitszeiten, hasste es, in dieses Korsett gezwängt zu sein.
    Morgens rein in die Apotheke, abends raus aus der Apotheke. Ein Kunde nach dem anderen, hier tat was weh, da tat was weh, ständig das Gejammer, und wenn einer mal nicht jammerte, dann wurde man garantiert angehustet oder angeniest.
    Unter dem Bett waren die Schuhe nicht. Auch nicht in dem winzig kleinen Flur. Aber unter dem Küchentisch wurde sie endlich fündig.
    Zwei Minuten später lief Lea die Treppe hinunter, die blonden Haare zum Zopf gebunden, der hin und her wippte.
    Im Hausflur war das Licht kaputt, wieder einmal. Trotzdem konnte sie im Halbdunkel den weißen Umschlag sehen, der aus ihrem Briefkasten herausschaute. Bestimmt wieder irgendeine blöde Reklame.
    Sie zog den Brief hervor. Es stand keine Adresse darauf.
    Das Papier, das sie in dem Umschlag fand, war sorgfältig gefaltet. Lea strich es glatt und überflog die gedruckten Zeilen:
    Schönste der Schönen, die mein Herz betört,
    befruchtet von der Schlange, die dein Schreien nicht hört.
    Der Einsamkeit Klaue, todbringend die Pein,
    der Bräutigam kann länger nicht ohne dich sein.
    Nun erlischt der Sonne wärmender Strahl,
    erlöst werd’ ich endlich von grausamer Qual.
    Es ist an der Zeit, die Nebel steigen,
    komm, Gottesbraut, komm, zum Hochzeitsreigen.
    Wenn das Reklame war, dann war sie auf jeden Fall voll daneben. Gottesbraut . So ein Schwachsinn.
    Den Brief noch in der Hand, riss Lea die Haustür auf und trat hinaus in die frische Abendluft. Endlich war es abgekühlt. Der Sommer war entsetzlich drückend und schwül gewesen. In den engen Gassen der Altstadt hatten die Mauern die Hitze gespeichert wie in einem Backofen, sodass sie nachts manchmal glaubte, in ihrem kleinen Zimmer ersticken zu müssen.
    Aber das war ihr letzter Sommer in einem Backofen. Ganz bestimmt.
    Sie zerriss den seltsamen Brief und warf ihn in die Mülltonne. Dann lief sie über das Kopfsteinpflaster in Richtung Alte Brücke. Es dämmerte schon, aber sie musste raus, sie brauchte das Laufen, um den Kopf frei zu bekommen.
    Sie konnte arbeiten, Menschen etwas verkaufen und trotzdem die ganze Zeit an etwas anderes denken. Die dunklen Wolken machten sich einfach in ihrem Kopf breit, egal was sie gerade tat. Nur beim Laufen, da lösten sie sich langsam auf.
    Bald würde alles besser werden. Die Wolken würden verschwinden, ewiger Sonnenschein – wenn sie erst einmal weg war von hier. Weg aus dieser verdammten Stadt, weg aus dieser ganzen verdammten Gegend.
    Wenn sie irgendwo erzählte, dass sie in Heidelberg lebte, kamen immer die gleichen Kommentare. Wie schön! Da war ich auch schon mal. So romantisch.
    Bla, bla, bla. Sie konnte es nicht mehr hören.
    Wenn man als Tourist kam, im Sonnenschein auf dem Marktplatz saß und Pizza und Eis in sich reinstopfte, dann war es vielleicht eine schöne Stadt. Für sie nicht.
    Zu viele schlechte Erinnerungen. Zu viele Nächte, die sie in ihrer stickigen kleinen Wohnung unter dem Dach wach gelegen hatte.
    Mit gleichmäßigen Schritten lief Lea über die Brücke, die Stufen hinunter, und bog auf den schmalen Pfad, der am Ufer des Neckars entlangführte.
    Sie würde es schaffen, wegzugehen. Sie wusste, dass sie es schaffen würde. Man musste nur an seine Träume glauben. Australien. Das weiße Haus am Strand. Leas Restaurant.
    Sie rannte über den gepflasterten Weg, an der hohen Sandsteinmauer
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