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Eisblume

Eisblume

Titel: Eisblume
Autoren: Sybille Baecker
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wohl so aussehen musste, als würde er interessiert auf den Leichnam starren.
    »Machen Sie die Augen auf und schauen Sie hin, sonst rede ich so laut, dass alle mitbekommen, was wir beide hier besprechen.«
    Alsberger schluckte, dann öffnete er die Augen. Mit seinem hellen Mantel und seinem grünlich bleichen Gesicht sah er aus wie ein großes Gespenst.
    »Beschreiben Sie mir, was Sie sehen. Ganz neutral und sachlich. Wie früher in der Schule. Bildbeschreibung, das kennen Sie doch, oder?«
    Es hatte keinen Zweck, wenn sie ihn schonte. Er musste endlich lernen, ein Mordopfer anzuschauen, ohne gleich in Ohnmacht zu fallen.
    Alsberger starrte eine Weile nach unten, auf die Schuhe der Toten, räusperte sich noch zweimal, bevor er zögernd begann.
    »Eine junge Frau … schätzungsweise Anfang zwanzig, blaugrüne Augen, ovale Gesichtsform, circa eins fünfundsiebzig groß. Bekleidet mit Turnschuhen, schwarzer Jogginghose und einem roten T-Shirt. Es ist alles nass. Ihr Gesicht …«, er schluckte noch einmal, »ihr Gesicht ist gräulich blau angelaufen, der Mund steht offen, und die Augen … die Augen sind weit aufgerissen.«
    »Und woran können wir erkennen, dass die junge Dame nicht freiwillig im Wasser gelandet ist?«
    »Die Kordel, am rechten Handgelenk. Die Kordel, mit der sie an dem Ast festgebunden war, der dahinten ins Wasser hängt.«
    Alsberger schaute zum Ufer, wo die Äste der Bäume so tief hingen, dass sie an manchen Stellen schon in den Fluss hineinragten.
    »Das hätte sie zur Not auch noch selbst hinbekommen. Was nicht?«
    »Also Raubmord war es nicht«, war Alsbergers Antwort. »Sie hatte ja Geld in den Hosentaschen. Das können wir wohl ausschließen.«
    »Das habe ich nicht gefragt! Was erzählt uns diese Leiche noch? Die Male an ihrem Nacken, Alsberger! Nun gehen Sie mal was näher ran.«
    Widerstrebend blickte er erneut zur Toten hinunter. Er hatte sich noch keine fünf Zentimeter nach vorn bewegt, als hinter ihnen lautes Geschrei ertönte.
    »Ich warne euch. Wehe, ihr tretet über die Absperrung! Wehe! Hier ist schon genug rumgetrampelt worden!«
    Es war Jantzek, der Leiter der Spurensicherung, der mit hochrotem Kopf in einigen Metern Entfernung stand. Er war in einen weißen Schutzanzug eingehüllt, so wie seine Mitarbeiter, die dabei waren, das Gelände abzusuchen.
    Jantzek hatte einen schmalen Streifen des Weges abstecken lassen, auf dem alle anderen sich zu bewegen hatten, um bloß keine Spuren zu zerstören oder gar ein paar eigene zu hinterlassen.
    Jantzek hatte sich auch schon ausgiebig vor dem verstörten älteren Herrn, der die junge Frau aus dem Wasser gezogen hatte, über Zeugen ausgelassen, die, statt direkt die Polizei zu rufen, mit völlig sinnlosen Rettungsaktionen nur alles zertrampelten.
    Maria hatte den eingeschüchterten Mann schließlich beiseitegenommen und ihm aufgetragen, sich – in ausreichendem Sicherheitsabstand zu Jantzek – ans Ufer zu setzen und nicht vom Fleck zu rühren, bis sie wiederkam.
    »Kein Schritt daneben! Verstanden?«, brüllte Jantzek ihnen noch einmal zu.
    »Genau. Nicht dass wir hier noch irgendwelche Spuren verwischen.« Alsberger drehte sich um.
    »Sie bleiben gefälligst hier! Verdammt noch mal, Alsberger, Sie sind hier bei der Kripo und nicht im Mädchenpensionat. Sie müssen sich endlich daran gewöhnen, dass wir mit Leichen zu tun haben. Die sehen nun mal nicht immer schön aus, wenn man ihnen den Hals umgedreht oder ihnen ein Loch in den Kopf geschossen hat!«
    Und das war der Freund ihrer Tochter! Wie konnte sich Vera nur in dieses Sensibelchen verlieben.
    Maria hatte sich fast an ihn gewöhnt, in letzter Zeit sogar manchmal gedacht, dass Alsberger doch ein ganz patenter Kerl war und es gar nicht so verkehrt wäre, wenn er ihr Schwiegersohn werden würde. Sie hatte ihn sogar vor ein paar Monaten, als sie beide halb tot vor Sorge um Vera waren, einmal geduzt. Aber in Situationen wie dieser machte er alles wieder zunichte.
    Alsberger stand da, mit hängenden Schultern.
    »Die Frau ist tot! Oder glauben Sie, die greift gleich nach Ihrem Bein, um Sie zu Neptun in den Neckar zu ziehen? Die tut Ihnen doch nichts!«
    »Das ist es nicht«, murmelte er.
    »Was dann?«
    Seine Stimme war so leise, dass Maria Mühe hatte, ihn zu verstehen.
    »Man kann einen toten Körper beschreiben, aber das Grauen, das diese Frau erlebt hat, was ist damit? Was für entsetzliche Angst muss sie gehabt haben? Was für ein Monster muss das gewesen sein, dass er sie auch
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