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Einzelkaempfer

Einzelkaempfer

Titel: Einzelkaempfer
Autoren: Sinje Beck
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steht in krassem Kontrast zu dem Davidoff von eben. Das Baby hat mich angelächelt, oder war das nun Einbildung?
     
    Es wird Nachmittag und Susanne kehrt mit der Botschaft zurück, dass Rudi die nächsten Wochen kürzer treten müsse. Leistenbruch. Bei der Bergung eines Schulbusses, zum Glück waren keine Kinder drin, hat er sich verhoben, als er den beleibten Busfahrer, der einen Nervenzusammenbruch erlitten hat, aus dem Graben hieven musste. »Natürlich helfe ich dir, kein Problem«, sag ich und es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin. »Natürlich bezahlen wir dich so, kein Problem«, sagt Susanne, die ebenfalls keine Lust auf Formularkram verspürt, auf die Auseinandersetzung mit den Zuverdienstregelungen und Sozialabgabebestimmungen. Wie zwei Verschwörer lächeln wir uns an, ja, die Susanne ist schon eine klasse Frau, aber nicht meine Frau. Wildern im fremden Revier, nicht mit mir, auch wenn’s schwer fällt. Aber auf so einen Stress hätte ich gerade noch Lust, da bleib ich doch lieber allein.
     

9
    So verstreicht der Januar in Harmonie und ich bin richtig reich. Mein Konto und ich, wir sind endlich ausgeglichen. Kurz überlege ich, ob ich mich in einem der nahe gelegenen hessischen Städtchen um Jobs bemühen soll ... im Hesse gibt et für dich a nichts ze Esse, tätää, beendet ein Reim den Gedanken. Es drängt mich wieder in die Passage. Ein bisschen Abwechslung könnte nicht schaden. Als Rudi wieder soweit auf dem Damm ist und ich gerade noch so eben das zweite zweiwöchige Bewerbertraining wegdiskutieren konnte, mit Verweis auf das erste, dass mir der Mann vom Arbeitsamt angedeihen lassen wollte, unter Androhung des Leistungsentzugs, mache ich mich auf den Weg in die Stadt. Es gießt in Strömen und ich spendiere mir eine Zugfahrkarte und bereue die Ausgabe, von wegen, ›Spahn mit der Bahn‹. Im Zug herrscht ein schrecklicher Tumult. Schülerfahrt, die haben wohl erst zur zweiten Stunde. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal in den Strudel fremder, wilder Hormone geraten bin. Schon beim Einsteigen werde ich geschubst und mit Opa tituliert. Im Abteil kann ich mich noch ducken, als eine leere Dose Cola knapp über meinem Kopf vorbeizischt. »Ist doch Pfand drauf, Mann«, brülle ich den pickligen Halbstarken an, der das Wurfgeschoss geschleudert hat. Ein müdes Lächeln hat er für mich übrig und fährt weiter mit der Beschmutzung der Sitze fort. Es wird gerotzt, geschrieen und geraucht. War ich auch so? In Gedanken sehe ich mich inmitten einer Gruppe Jungs auf dem Hof der Realschule Burbach. Dass ich mich inmitten der Gruppe befand, lag nicht etwa an meiner durchschlagenden Beliebtheit, nein, ich war ihr Spielball. Wurde hin und her geschoben, gegängelt, geboxt und gefoppt. »Heiner, mein Kleiner, ist ein oller Schleimer.« Sangen sie, war ich nie, das schwöre ich, das sagten die nur, weil denen kein besserer Reim einfiel, den coolen Jungs, auf die die Mädchen standen. Gerotzt haben die damals auch schon. Meine ganze Jugendzeit war ich damit beschäftigt die Aufmerksamkeit nicht auf mich zu lenken. Nee, irgendwie war ich ein Spätentwickler und die dummen Sachen habe ich dann erst in der Lehre angestellt. Kampftrinken mit Amis während eines Monsters of Rock Konzertes, sie tranken Bier ich die gleiche Menge Jack Daniels. I want to rock, rief ich mit herabgelassener Hose, pinkelnd, bevor ich in den Fluss fiel und geschockt, fast ernüchtert, mühsam an Land kroch. Ja, als ich so sein wollte, wie die anderen musste ich das Rauchen und Biertrinken anfangen, aber zum Mädchenschwarm hat es nie gereicht.
    Ich beobachte einen Jungen, der irgendwie zu den Deppen zu gehören scheint, aber deutlich hörbar den Stimmbruch schon hinter sich und den Respekt der krächzenden Jungs inne hat. Sie schließen sofort das Fenster, aus dem gerade einer sein Hochgezogenes spucken will, und lassen von ihrem Vorhaben ab, als der größere kurz und knapp bellt: »Macht das Fenster zu.« Hähä, schlucken, statt spucken. Das Rudel junger Wölfe sucht sich ein neues Betätigungsfeld und beginnt, die Mädchen zu ärgern, aber auch nur so lange, bis der Leitwolf – ob er sich die Rolle ausgesucht hat – sie anraunzt: »Lasst Laura in Ruhe.« Sie scheint unter besonderem Schutz zu stehen. Zu allem Überfluss naht ein alter betrunkener Punk mit einem abgewetzten RAF-Zeichen auf dem Shirt und einem gegen die Startbahn-West-Aufnäher an der Kutte und lässt sich neben mir
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