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Einzelkaempfer

Einzelkaempfer

Titel: Einzelkaempfer
Autoren: Sinje Beck
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auf den Sitz fallen. Nicht, dass ich was gegen Punks hätte, nein, woher denn, aber auf Alkoholfahnen reagiere ich derzeit allergisch. »Sind wir schon in Siegen?«, weht er mich an. Ich verneine. »Alter, haste mal ein Bier?« Ich schüttle mit dem Kopf und quetsche mich an ihm vorbei in den Gang. Der Typ riecht echt übel und ich habe ernste Bedenken, dass ich Geruch annehme. »Sind wir jetzt da?« »Gleich«, antworte ich knapp und stelle mich Richtung Ausgang. Bis jetzt habe ich durchgehalten und bin seit Jahresbeginn alkoholfrei. Ob ich auch immer so gestunken habe nach einigen Bieren? Hoffentlich nicht ganz so schlimm. Das verätzt einem ja die Nasenschleimhaut. Wir nähern uns zum Glück dem Ziel und ich werde Zeuge einer wundersamen Wandlung. Der wildeste Rüpel des Rudels ruft per Handy seinen Vater an. Ich habe gar nicht registriert, wann er die Kreide gekaut hat. Mit engelsgleicher Stimme fragt, ja, flötet er beinahe: »Papi, kannst du mich heute Mittag abholen?« Die Antwort darauf und die Antwort auf meine Frage, ob die Kinder schon nach der Geburt das Handbuch ›1x1 der kleinen Schauspielschule‹ auf den Weg bekommen, wird mir für alle Zeit verborgen bleiben.
     
    Ohne Blessuren gelingt mir das Aussteigen im Zielbahnhof. Tief einatmen. Es regnet immer noch, alles andere hätte einen in dieser Region verwundert. Ich hetze über den Platz, das Schild schützend über meinem Kopf und beziehe Stellung in der Galerie. Ich entscheide mich fürs Untergeschoss, wo ich aufgrund des Warenangebots, Büroartikel, Handys, Medien, die meisten Kundenströme erwarte. Schlanke Leute in schicken Anzügen packen sich ihr erstandenes Salatsandwich, das sie im Stehen in ihrer Mittagspause zwischen 12.00 Uhr und 12.30 und zwei Anrufen verschlingen werden, in ihre Köfferchen. Kichernde Kinder, der Ranzen größer als ihr Kreuz, kaufen sich Kaubonbons von dem Geld, das sie für ein Käsebrötchen bekommen haben. Dickliche Damen in Stützstrümpfen schlurfen zu ihren Ärzten, um die nächste Krampfaderbehandlung zu erbitten. Ob sie es sich leisten werden können, wird die Politik klären. Klar und rein werden die Fenster des Drogeriemarktes sein, sobald Mister Clean, in seinem schmutzig grauen Overall seine Selbstgedrehte ausgeraucht hat. Meine Mineralwasserflasche im Rucksack knallt unsanft auf die Fliesen, als ich den Body-Bag, so stand es auf dem Etikett, von meinen Schultern rutschen lasse. Hatte die Flasche ganz vergessen – Glück im Unglück, sie ist nicht kaputt und der Inhalt des Rucksacks trocken. Kaum auszudenken, was ich da wieder für einen Prassel am Hals gehabt hätte, müsste ich die aussichtslosen Bewerbungen darin alle noch mal ausdrucken und eintüten. Ich spiegele mich in der Scheibe, kurz unter dem Schriftzug: Sie haben es sich verdient, und stelle fest, dass ich meinen Arbeitstag beginnen kann, die Haare sind ordentlich zu einem Zopf gebunden, das Schild hängt gerade und nichts hängt mir zwischen den Zähnen. Wohlan!
     
    Es wird 10, es wird 11 und ich fühle mich wie der künstliche Buchsbaum in dem Plastikübertopf links neben mir. Ich scheine Luft zu sein. Kein Mensch nimmt Notiz von mir, schenkt mir einen Blick, noch nicht mal einen voller Missachtung. Auch nicht die zwei Geschäftsmänner, mir gegenüber, die auf den Hockern der Espressobar aneinander vorbei in ihre Superminihandys stakkatoartig Anweisungen brabbeln. Ob ich den Standort wechseln sollte? Gegen Mittag entschließe ich mich, Posten in der Futtermitteletage zu beziehen. Wurst, Käse, Feinkost, Backwaren. Zum eigenen Vergnügen drehe ich eine Runde, ohne Schild, durch den Süßwarenladen und rieche mich satt, bevor ich mich beschildert in die Nähe eines Cafés begebe. Hier in der überdachten, beheizten Galerie kann man das ganze Jahr quasi vor der Tür sitzen. Derzeit kommt mir das ganz gut zu pass, doch im Sommer werde ich vielleicht lieber durch die Straßen schlendern, meine Pause im Park des Oberen Schlosses genießen, mit Blick über die Stadt. Wie heißen denn noch mal die sieben Berge, beginne ich zu sinnieren. Häusling, mittendrin, Giersberg, da wohnte mal ein befreundetes Ehepaar, auch geschieden mittlerweile, der Rosterberg, der nach dem Tagesbruch mit mehreren hundert Tonnen Beton verfüllt wurde, Lindenberg, lässt mich an den Tod denken, hmmm ... hier im klimatisierten Raum muss man doch dösig werden über die Dauer, denke ich mir. Andererseits, man gewöhnt sich an so vieles. ›Über sieben Brücken musst du
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