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Einzelkaempfer

Einzelkaempfer

Titel: Einzelkaempfer
Autoren: Sinje Beck
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gehen, sieben dunkle Jahre überstehen‹, oh, man, was sucht denn jetzt der Maffay in meiner Großhirnrinde. Ich konnte Marie nie verstehen, die jedes seiner Konzerte besuchte. Ich schiebe die mangelnde Leistung meines faktischen Erinnerungsvermögens auf die Luft. Meine Aufmerksamkeit wird glücklicherweise durch einen kleinen Tumult wieder nach außen gelenkt. Es herrscht reger Betrieb und gereizte Stimmung an Tisch sieben, da eine junge, bildhübsche Bedienung einen Cappuccino auf den feinen Zwirn eines Gastes gekippt hat. Sie ist untröstlich, wischt hier und da, weicht den rudernden Armen des wütenden Mannes aus. In seiner Hilflosigkeit beschimpft er das Mädchen und ich kann nicht länger zusehen, stelle mein Schild ab und komme nicht zum Deeskalationseinsatz, da der Chef, erkennbar an seinem gewichtigen Gang und der bodenlangen, sauberen Schürze, sich wortreich bei dem Gast für die Behandlung entschuldigt, ihm einen Grappa anbietet, die Reinigungskosten übernehmen wird, sich nochmals für das Malheur entschuldigt, es könne ja mal passieren und das Mädchen wäre noch nicht so erfahren. Dabei gebietet er der Bedienung mit links zu verschwinden. Den Tränen nahe verlässt sie den Tatort. Ich weiche ebenso einen Schritt zurück, schnalle mein Schild wieder um. Weiter hinten im Café sehe ich, wie der Chef freundschaftlich tröstend seinen Arm um die nun bebenden Schultern des Mädchens legt – der Mann ist in Ordnung, denke ich und wundere mich fünf Minuten später, warum das arme Ding weinend an mir vorüberstürzt, um über meinen Rucksack zu stolpern. »Was ist passiert?«, frage ich und helfe ihr auf die Beine. »Er hat mich gefeuert.« Ich gebe ihr ein Taschentuch, sie nickt dankend und geht, den Blick gesenkt. So ein falscher Hase!
     
    »He, Sie da«, ich schaue mich suchend um, »ja, Sie da mit dem Schild«, ruft ein Mann aus dem Café. Es ist der falsche Hase. »Mir ist eben eine Serviererin ausgefallen«, sagt er, als ich ihm gegenüber stehe. »Auf die Gäste kann ich Sie nicht loslassen«, er taxiert mit abschätzigem Blick meinen Zopf. »Aber Sie könnten Freds Job übernehmen, die Spülmaschine bedienen und so. Alles klar?« »Klar«, sag ich. Der Standortwechsel hatte sich gelohnt. Hire and Fire – des einen Leid, des anderen Freud. Ich gestehe, nur kurz überlegt zu haben, das Jobangebot des falschen Hasen abzulehnen. Die Zeiten der Solidarität mit Schwächeren sind bei mir seit meiner Arbeitslosigkeit endgültig vorbei. Ich bin jetzt der Schwächere und kann mir keine große Klappe leisten – im Moment nicht. Es wird auch noch mal anders sein, hoffe ich doch. Für den Rest der Woche darf ich für das gemeine Schwein spülen, ja, ich weiß, man tut den Tieren Unrecht. Ja, ich fühle mich auch nicht ganz wohl in meiner Haut. Aber das gibt sich in dem Augenblick, als mir die bevorstehende Miet- und Nebenkostennachzahlung in den Sinn kommt. Manchmal kann man sich den Mist eben nicht aussuchen in dem man steckt, lediglich die Tiefe lässt sich variieren.

10
    Meinem derzeitigen Arbeitgeber sitzt das Geld nicht eben locker. Er ist ein Blutsauger, um deutlicher zu werden. Sieben Euro Stundenlohn ist nun wirklich nicht viel, doch weil er mir täglich vier Stunden bis Ende der Woche Arbeit garantiert, erwartet er von mir ein gewisses Entgegenkommen. Das Be- und Entladen der Spülstraße bereichert zwar meinen Erfahrungsschatz in Bezug auf die Konsistenzveränderung von Eiweißverbindungen unter hoher Hitzeeinwirkung, doch bisweilen fühle ich mich unterfordert. Gut, in Stoßzeiten komme ich ganz schön ins Schwitzen, aber alles in allem ist der Job eher langweilig. Trotzdem hab ich mich auf sechs Euro, fünfzig Cent die Stunde eingelassen, aber nur, weil ich dann dem Arbeitsamt nicht so viel zurückzahlen muss und mir der, von meinen verarmten Eltern oft zitierte Spatz in der Hand mehr wert ist, als die Taube auf dem Dach.
     
    Meine Schicht beginnt um 11:00 Uhr, so dass ich wenigstens ausschlafen kann. Nachmittags werfe ich immer einen Blick in die Stellenanzeigen des Arbeitsamtes. Doch weder als Blechschlosser noch als Werbekaufmann könnte ich mich verdingen, weder in Ost- noch in Westdeutschland. Wäre man Bauarbeiter, Betonbauer oder so etwas, könnte man in Norwegen als Maurer oder auch in Österreich auf dem Bau sein Geld verdienen. Ich habe sogar schon überlegt, ob ich für einige Monate auf einer Bohrinsel anheuern sollte. Doch irgendwie kann ich mich nicht entschließen umgeben von
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