Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli
Autoren: Ravensburger
Vom Netzwerk:
darüber schlafen würde.
    Vater hat ein Gefängnisgesicht und Gefängnisschultern, einen Gefängnisgang mit kleinen Schritten. Aber wenn ich die Augen schließe ... seine Stimme ist wie früher.
    »Ich habe deinen langen Brief bekommen, Fritzi«, sagt die Stimme. »Ich danke dir. «
    »Gern geschehen«, murmele ich und sehe mich in Stutthof und Buchenwald, frierend, hungrig und schreibend, und meine Seiten durch Lexis und Harald Poelchaus Hände gehen und den Mann erreichen, der mir gegenübersitzt.
    »Ich habe den Brief noch«, sagt Vater. »Vielleicht möchtest du ihn zurück. Man vergisst so schnell.«
    Er schiebt den dicken, zerknitterten Umschlag über den Tisch. Zögernd ziehe ich ihn zu mir heran und spüre das Gewicht vieler Seiten.
    Schlau! Stellt den Kontakt her durch meinen eigenen Brief! Mein Vater, der Mann, der immer und auf alles eine Antwort hatte. Hätte man eine Waage zwischen uns gestellt, die das Erkennen misst, neigte sie sich jetzt schon ein kleines Stück zu ihm hin.
    Und wären wir in einem geschlossenen Raum, würde die Nervosität Wände sprengen. Mein Vater, der einzige der Männer, der zurückkehrt und Antworten geben könnte ... die Frauen, die keine Frage zu stellen wagen! In quälender Ausführlichkeit dreht sich das Gespräch um die raffinierten Umwege, auf denen Tante Josi den Zucker für die Apfeltorte besorgt hat.
    »Was hast du eigentlich gemacht?«, unterbreche ich.
    Entsetztes Schweigen. Bravo, Klexchen! Mutter wird komplett aufgehört haben zu atmen.
    »Ich meine: was genau?«, wiederhole ich entschlossen.
    Vater sieht mich ruhig an. »Ich hatte als Quartiermeister Zugang zu Sprengstoff.«
    »Aber ich dachte, Nannis Verlobter hätte den besorgt?
    »Hat er. Ich habe, wenn man so will, einen früheren Anschlagsplan ausgerüstet, der im Nachhinein noch aufflog. Dass ich am Leben geblieben bin, verdankt sich wohl einzig der Tatsache, dass der zuständige Richter, Roland Freisler, im Februar bei einem Bombenangriff umgekommen ist. Meine Verhandlung wurde mehrmals verschoben und kam schließlich nicht mehr zustande.«
    »Einen früheren ... du meinst, es hat mehrere Anschläge gegeben?«
    »Es hat etliche Versuche gegeben, Fritzi. Angefangen bei einem tapferen Mann namens Georg Elser, dem es vor sechs Jahren fast gelungen wäre, die Katastrophe noch vor ihrem Ausbruch zu verhindern. Leider hat Hitler eine Viertelstunde zu früh seine Rede im Bürgerbräukeller beendet. Georg Elser, ein einfacher Mann aus dem Volk, hat lange vor uns allen erkannt, dass man etwas unternehmen muss.« Vater bewegt sich unbehaglich auf seinem Stuhl. »Ich wünschte, ich könnte sagen, uns sei nicht bewusst gewesen, dass man im Falle unseres Scheiterns die Familien zur Rechenschaft ziehen würde, aber es wäre nicht die Wahrheit. Wir haben gehofft, das ist alles.«
    »Niemand macht euch einen Vorwurf, Hans!«, erklärt Omama. »Die Familie steht hinter dem, was ihr getan habt.« »Vorbehaltlos«, bekräftigt Ina.
    »Wir brauchen nicht einmal darüber zu reden«, fällt Nelly ein. Mutter kann nur noch nicken. »Willst du reden, Fritzi?«, fragt Vater.
    Willst du reden. Ich höre, was er eigentlich fragt: Verstehst du, warum ich einen Weg verlassen musste, auf den ich dich schon geschickt hatte?
    »Ich will reden«, antworte ich. »Aber es ist eine hässliche Geschichte und ich könnte verstehen, wenn niemand von euch sie hören möchte.«
     
    Natürlich sind alle geblieben. Nur Bernadette hat von Ina einen Wink bekommen, den Korb mit den Springseilen und Bällen zu holen. Die Kinder rannten ihr sogleich hinterher, froh, nicht länger still sitzen zu müssen.
    Antonia und Fritzi. Fritzi und Antonia. Mit welcher von uns hatte es angefangen? Nur dass wir Piotr gewarnt hatten, steht fest. Zwei Mal: Wir haben deine Vorratsecke entdeckt. Hör auf damit, sonst müssen wir es melden!
    Er wird nicht geglaubt haben, dass wir es tun. Nahm hier eine Kartoffel, da eine Zwiebel, dort eine Scheibe Brot – so wenig von jedem, dass die Bäuerin nichts merkte, obwohl sie abends die Weckgläser und Eier zählte. Er wusste, dass wir sein kleines Vorratslager hinter den Hafersäcken inspizierten, eine Holzkiste, damit die Mäuse sich nicht durchnagten.
    Eine geklaute Holzkiste aus dem Stall, stellte Antonia fest. Auch das noch.
    Wir merkten, dass Piotr nicht aufhören würde. Ich habe Hunger, sagte er nur. Für die viele Arbeit, die ich mache, müsste ich viel mehr zu essen bekommen!
    Wir ärgerten uns, dass er unsere
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher