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Einschlafbuch Fuer Hochbegabte

Einschlafbuch Fuer Hochbegabte

Titel: Einschlafbuch Fuer Hochbegabte
Autoren: Dietmar Bittrich
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Überlaufen brachte, verzichtete er jedoch auf die Wanne. Er duschte kalt, mitten in der Nacht. Möglichst eisig, möglichst lange. Die asthmatischen Beschwerden, an denen er litt, begaben sich dann zur Ruhe. Er selbst auch.
    Eisiges Essigwasser gegen seinen Juckreiz hatte bereits der Violinist Niccolo Paganini als Heil- und Schlafmittel entdeckt. Inzwischen wird der Kaltwasserschock allen empfohlen, die unter Allergien leiden. Außer jenen, die unter einer Kaltwasserallergie leiden. Denn die gibt es auch, besonders unter uns Hochsensiblen.
    Der poetische Reiseschriftsteller Bruce Chatwin zum Beispiel scheute das kalte Wasser. Er entdeckte auf seinen Wanderungen über australische Traumpfade etwas anderes, das zweifellos origineller, aber nicht ganz so leicht zu haben ist: heißen Sand. Für die Aborigines war dieses reichlich vorhandene Material ein Hausmittel gegen Hautreizungen, gegen Kribbeln, Kratzen, Kitzeln, Jucken. Vor allem aber gegen Gelenkschmerzen. Chatwin, von unklaren Symptomen heimgesucht, brachte die Kunde vom Sand mit nach England. Es ist ein Geheimtipp geblieben, freilich ein wirksamer. Von Genies für Genies. Der einfachste Weg für unsereinen: Vogelsand kaufen. Mag der auch eigentlich für den Käfig von Sittichen und Kanarien gedacht sein, wir schieben ein Kilo in den Ofen, gern in einem Tontopf, erwärmen auf knapp vierzig Grad, fertig. Handgelenke oder Füße oder Ellbogen darin vergraben. Schmerz gehen spüren. Schläfrigkeit kommen fühlen. Genial.

Glückliches Erwachen
    Während der Arbeit an diesem Buch habe ich die verschiedensten Einschlafrezepte ausprobiert. Nicht alle. Nachts Tretboot zu fahren oder bergauf zu radeln wie der Komödiant Wigald Boning, kam mir zu aufwendig vor. Mit der New Yorker Subway zu pendeln, wie es der Autor Tom Wolfe bevorzugt, hätte eine längere Reise erfordert; in meiner Stadt pausiert die U-Bahn nachts. Auch liegt es mir nicht, Adelswappen heraldisch exakt abzuzeichnen, wie es Theodor Fontane in schlaflosen Stunden tat. Aus Mangel an Material konnte ich überdies keine Sammlung von Ritterhelmen ordnen wie Sean Connery oder auch nur eine Kollektion gekrümmter und verwachsener Streichhölzer, denen der Bildhauer Richard Serra manche wache Stunde widmet, bis sich die Müdigkeit einstellt.
    Aber ich konnte mich ins dunkle Treppenhaus setzen, wie es der französische Sonderling Georges Perec empfohlen hat: dem Rauschen und Gurgeln der Wasserleitungen lauschen, dem Seufzen und Schnarchen der Hausbewohner, gelegentlich auch ihrem Stöhnen. Es war langweiliger als erwartet, ermüdend nicht. Ich habe versucht, paradoxe Koans zu lösen, wozu der ironische Zen-Zögling Janwillem van de Wetering riet; wenn man nicht dabei einschlafe, werde man wenigstens erleuchtet. Weder das eine noch das andere traf bei mir ein.
    Es gibt einfach unterschiedliche Typen, für die unterschiedliche Rezepte taugen. Goya z. B., von Knackgeräuschen und Brausen in seinen Ohren wach gehalten, bemalte sein Zimmer mit imaginären Farben. Von der Matratze aus schuf er betörende Wand- und Deckenbemalungen, die leider nie jemand zu Gesicht bekam; sie blieben nun mal imaginär. Sobald die letzte Stuckrosette eingefärbt und der letzten Winkel gestrichen waren, schlief er ein.
    Der schwarzhumorige Roland Topor nannte eine Mappe mit Todesanzeigen sein eigen, die Freunde stets mit neuem Material versorgten. Bei nervöser Unruhe, von der dieser Künstler häufig befallen wurde, widmete er sich der Lektüre. Es versöhnte ihn mit der Welt und sich selbst, dass so viele Leute vor ihm ins Jenseits gewechselt waren. Nach wenigen Seiten war er besänftigt und schlummerte.
    Andere sind besser beraten, wenn sie aufstehen, ein bisschen herumwandern oder Qi-Gong-Übungen machen. Vor allem jene Charaktere, die nach einiger Zeit des Wachliegens wütend werden, bauen ihren Überschuss an Wachheit ab, indem sie sich bewegen: Holzscheite aufschichten wie Thomas Bernhard, Gläser wienern wie Agatha Christie, alte Kleider aussortieren wie Katherine Hepburn oder längst fällige Briefe schreiben, wie es die Romanzenautorin Rosamunde Pilcher tat und vielleicht immer noch tut.
    Wer zu Furchtsamkeit neigt, betrachtet ein Ahnenalbum, falls noch vorhanden. Das gehört zu den Lieblingsbeschäftigungen der Harry-Potter-Schauspielerin Emma Watson, die mit wohligem Schaudern eine Hexe unter ihren Vorfahren entdeckte. »Das Vergangene beruhigt«, fand Emma gleichwohl. Das trifft zu, jedenfalls auf alte Bilder und auf jene
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