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Einschlafbuch Fuer Hochbegabte

Einschlafbuch Fuer Hochbegabte

Titel: Einschlafbuch Fuer Hochbegabte
Autoren: Dietmar Bittrich
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Sensibilität. Grobiane nehmen das Beklemmende nicht wahr, obgleich es ein gut gemeinter Gruß der Evolution ist. Wenn sich zum Schlaf die Augen schließen, fährt die körpereigene Alarmanlage die Wahrnehmungskraft der Sinne herunter. Eine Zeit der Wehrlosigkeit bricht an. Früher stand vor der Wohnhöhle jemand mit der Keule. Später gab es Nachtwächter, die durch die Gassen patrouillierten. Sie müssen nicht mehr sein; die Türen sind sicher verriegelt. Trotzdem nistet in den Körperzellen das Gefühl des Ausgeliefertseins; uralte Gene fürchten ums Überleben. Verbunden mit der hingestreckten Passivität beim Warten auf Schlaf entsteht ein Zustand, in dem Gefahrbringendes sozusagen von Natur aus in die Gedanken drängt.
    Zahllos sind die Namen der Zartbesaiteten, die zwecks Überbrückung dieser kritischen Phase zum Glas griffen wie Gruselprofi Edgar Allen Poe, oder zu einer Prise Opium wie der Dichter Georg Trakl, oder zu einer Dosis Cannabis wie der Zeichner Alfred Kubin. »Ein Glas Bier genügt«, hat Schauspieler Matthew McConaughey jüngst festgestellt. Das ist sein Mittel gegen Nyctophobie, das vornehme Wort für die vage Furcht vor der Nacht. Bier also. Ein Glas. Betäubende Substanzen in größeren Dosen haben den Nachteil, dass sie den Schlaf verflachen und die Phase des Gespenstischen lediglich scheinbar überspringen. In Wahrheit wird das Betreten der Geisterbahn nur aufgeschoben. In krassen Fällen, bis sich die Tür auch bei Tag nicht mehr schließen lässt.
    Hermann Hesse, zeitlebens kein guter Schläfer, erzählte, dass sich die Abendfurcht bei ihm gegen Ende des dritten Lebensjahres eingestellt habe. Von da an musste die Tür stets einen Spaltbreit offen bleiben, damit Licht ins Zimmer drang und die Stimmen der Eltern beruhigend zu hören waren. Hesses Mutter hielt diese Verzagtheit ihres Lieblingskindes für ein Vorzeichen sensibler Kreativität und medialer Begabung. Ganz falsch lag sie damit nicht.
    Dabei ist der Zeitpunkt typisch, von dem an Ängste den kleinen Hermann am Einschlafen hinderten. Bei allen Kindern beginnt die Furcht im einsamen Bettchen in diesem Alter. Zwischen dem zweiten und fünften Jahr weicht das Einheitsgefühl des Kindes einem Gefühl der Getrenntheit. Bislang waren Schrank und großer Zeh und Kuscheltier und Mama gleichermaßen lebendig. Von allem hat das Kind in der dritten Person geredet, auch von sich selbst, als seien alles Figuren in einem von außen gesehenen Spiel. Das wandelt sich nun. Bisher war der Körper eines von vielen Phänomenen. Jetzt entdeckt es diesen Körper als Zentrum. Unter dem Applaus der Eltern sagt es: »Ich.« Und von nun an empfindet es sich als etwas Besonderes, als Individuum, das dem Spiel eine Richtung geben kann. Zugleich nimmt es sich als vereinzelt und gefährdet wahr.
    Es sind zwei Seiten derselben Münze. Mit dem entstehenden Selbstbewusstsein wird auch das Gefühl der Bedrohung verankert. Und dieses Gefühl bleibt – egal welche Abfederungen im Laufe des Lebens ersonnen werden. Die unterschwellige Furcht vor dem Kontrollverlust lässt sich nicht beschwichtigen, bis schließlich das Empfinden der Individualität wieder verschwindet, entweder bei dem, was Buddhisten Erleuchtung nennen, beim Aufgehen des Ich im Ganzen, oder beim realen Segnen des Zeitlichen. Der nachtwachende Philosoph Arthur Schopenhauer schraubte einen Satz, der ungefähr lautet: »Das Sterben ist die Befreiung von der Einseitigkeit der Individualität; die Individualität macht nicht den innersten Kern unseres Wesens aus, sondern ist eine Art Verirrung; im Sterben tritt die wahre ursprüngliche Freiheit wieder ein.«
    Na, wunderbar. Und danach schlafen wir wieder völlig angstfrei! Was ist jedoch, wenn wir vorher schon, trotz allerfeinster Antennen, schlafen wollen? Trotz aller beunruhigenden Einflüsterungen der Twilight Zone ? Dann hilft vor allem die BismarckMethode. Licht an und aufstehen. Und dann? Dann ran an das Unangenehme, empfiehlt der Autor Paolo Coelho. Er begibt sich in Furcht einflößenden Nächten an den Schreibtisch, nicht, um zu schreiben, sondern um zu ordnen und aufzuräumen. Um zu sortieren, was vom Tage übrig blieb. Für schöpferische Arbeit fühlt er sich zu müde, aber Papierstapel durchzusehen, Briefe zu sichten, Belege abzuheften, dafür reicht es. Und irgendwann stellt sich dann verdiente Müdigkeit ein.
    Verdiente Müdigkeit: Darauf kommt es an, meinen die professionellen Forscher vom Einstein College in New York. Wer das
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