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Eines Greifen Ei

Eines Greifen Ei

Titel: Eines Greifen Ei
Autoren: Michael Swanwick
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sprach, würde zwei Wochen in Anspruch nehmen. »Selbst wenn Sie dabei als vollkommen menschlich eingestuft werden - und ich unterstelle, daß das nicht der Fall sein wird -, wer kann ermessen, welches die Langzeitfolgen sind? Was verhindert, daß wir Schritt für Schritt und mit großer Beschleunigung auf den Wahnsinn zustreben? Wer entscheidet, was Wahnsinn ist? Wer programmiert die Programmierer? Nein, das ist unmöglich. Ich spiele nicht auf gut Glück mit unserem Geisteszustand.« Verteidigend und beinah wütend wiederholte sie: »Ich spiele nicht mit unserem Geisteszustand.«
    »Ekatarina«, sagte Gunther sanft, »wie lange bist du schon auf? Hör dir doch mal selbst zu! Der Draht hat das Denken für dich übernommen.«
    Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, ohne zu antworten.
    »Nur aus einer praktischen Erwägimg heraus«, sagte Beth Hamilton, »würde mich interessieren, wie Sie gedenken, Bootstrap weiter in Gang zu halten, ohne diesen Weg zu beschreiten? Die gegenwärtige Szene macht uns alle zu kleinen Faschisten. Sie sagen, sie sorgen sich wegen des Wahnsinns - was wird in einem Jahr mit uns los sein?«
    »Das KMP versichert mir ...«
    »Das KMP ist nur ein Programm!« rief Beth Hamilton aus. »Wie interaktiv es auch sein mag, es ist nicht flexibel. Hoffnung kommt darin nicht vor. Es kann neue Situationen nicht beurteilen. Es kann nur alte Entscheidungen bekräftigen, alte Werte, alte Gewohnheiten, alte Ängste.«
    Aufbrausend fauchte Ekatarina: »Gehen Sie mir aus den Augen!« Sie kreischte. »Aufhören! Aufhören! Aufhören! Ich werde das nicht länger dulden!«
    »Ekatarina ...«, begann Gunther.
    Doch ihre Hand umklammerte den Zylinder fester. Sie beugte die Knie und ging langsam neben dem Ofen in die Hocke. Gunther merkte ihr an, daß sie nicht mehr zuhörte. Drogen und die Last die Verantwortimg hatten diesen Zustand bei ihr bewirkt, hatten sie aufgeputscht und sie mit widersprüchlichen Anforderungen verwirrt, bis sie zitternd am Rand des Zusammenbruchs stand. Eine Nacht gesunden Schlafs hätte sie vielleicht wiederhergestellt, sie in die Lage für ein vernünftiges Gespräch versetzt. Doch die Zeit war zu knapp. Durch Worte konnte sie jetzt nicht mehr aufgehalten werden. Und sie war zu weit von ihm entfernt, daß er sie hätte erreichen können, bevor sie den Meditator zerstörte. In diesem Augenblick empfand er ein überwältigend starkes Gefühl für sie, das nicht zu beschreiben war.
    »Ekatarina«, sagte er. »Ich liebe dich.«
    Sie wandte den Kopf halb zu ihm um und sagte in einem zerstreuten, etwas verwirrten Ton: »Was willst du ...«
    Er nahm die Bolzenpistole von seinem Arbeitsgeschirr, zielte und drückte ab.
    Ekatarinas Helm wurde zerschmettert.
    Sie stürzte zu Boden.

    »ICH HÄTTE SO SCHIESSEN SOLLEN, daß nur ihr Helm zerbrochen wäre. Das hätte sie zur Besinnung gebracht. Aber ich habe mich nicht für einen ausreichend guten Schützen gehalten. Also habe ich direkt auf die Mitte ihres Kopfes gezielt.«
    »Pscht«, sagte Beth Hamilton. »Du hast getan, was du tun mußtest. Hör auf, dich zu quälen. Sprich über praktischere Dinge.«
    Er schüttelte den Kopf, immer noch schwer mitgenommen. Lange Zeit hatte er unter dem Einfluß von Beta-Endophinen gestanden, unfähig, etwas zu empfinden, unfähig, um etwas zu trauern. Es war, als ob er in ein Wattepolster eingepackt wäre. Nichts konnte an ihn herankommen. Nichts konnte ihn verletzen. »Wie lange war ich weg?«
    »Einen Tag.«
    »Einen Tag!« Er blickte sich in dem schmucklosen Raum um. Kahle Felswände und eine Laboreinrichtung mit glatten, nichtssagenden Flächen. Auf der anderen Seite bückten sich Krishna und Sally Chang über eine Kipptafel, in eine vergnügte Diskussion vertieft und ungeduldig jeweils das Gekritzel des anderen überschreibend. Ein Schweizer Astronaut kam herein und sprach zu ihren Rücken. Krishna nickte zerstreut, ohne sich umzusehen. »Ich dachte, es wäre viel länger gewesen.«
    »Es war lange genug. Wir haben bereits alle, die zu Sally Changs Gruppe gehören, gerettet, und beim Rest machen wir gute Fortschritte. Es wird bald Zeit sein zu entscheiden, wie du dich selbst umgestaltet haben möchtest.«
    Er schüttelte den Kopf und fühlte sich tot. »Ich glaube, das ist mir vollkommen egal, Beth. Ich habe einfach keinen Nerv dafür.«
    »Wir werden dir den Nerv geben.«
    »Nö, ich will nicht ...« Er spürte, wie ihn wieder ein schwarzer Schwindel befiel. Er erschien zyklisch; jedesmal, wenn er dachte,
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