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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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Kehle aufs Blech drückt, das Kreischen verendet langsam und wird durch ein Geräusch von tief unten, einen unmodulierten Ton, der durch die Kehle geht, abgelöst. In ihrem Inneren graben Widerhaken. Auch der Kater ist geschunden, sie reißt ihn mit einem Satz aus sich heraus, sie dreht sich in der Luft und kommt, die Beine tief geknickt, neben dem Komposthaufen auf.
    »Sie hat uns die ganze Zeit angeschaut.« Johanna presst diese Worte hervor, und auch meine Hand presst sie, so dass sich die Finger übereinanderschieben, dann stürzt sie auf den Zaun zu, klappt darüber zusammen, die grünen Lattenenden drücken sich in ihren Bauch, sie kotzt auf nicht bepflanzte Beete.
    Als ich erwache, weiß ich einige Sekunden lang nicht, wo ich bin. Ich mag dieses Gefühl. Man steigt achtlos eine Treppe hoch, tritt plötzlich ins Leere und ist irritiert. Für einen Augenblick scheint die Möglichkeit auf, dass das Wissen, das Wissen über uns und die Dinge in der Welt und wie wir mit ihnen funktionieren,vielleicht falsch ist. Wir stolpern über die Möglichkeit einer anderen Ordnung und sind befremdet. Erst wenn wir ins Leere treten, erkennen wir, dass wir an etwas geglaubt hatten, dass wir Erwartungen hatten. Schon als Kind hatte ich diese Irritationen geliebt und versucht, sie zu wiederholen. Ich verbrachte Nachmittage damit, Treppen rauf- und runterzulaufen, und wechselte jeden Abend die Bettenden. Doch Irritationen lassen sich weder herbeizwingen noch ausdehnen und schon gar nicht wiederholen. Sie sind nicht korrumpierbar. Ich war kein zufriedenes Kind, ich wollte immer, dass etwas passiert und nichts so bleibt, wie es ist.
    Ich gehe in die Küche und mache Kaffee. Es ist später Vormittag, meine Eltern sind außer Haus. Heute, weiß ich, werden sie fragen, was ich denn eigentlich hier wolle, warum ich gekommen sei und wie lange ich vorhabe zu bleiben. Meine Mutter wird versuchen, diese Fragen nicht direkt zu stellen, ich soll bloß nicht den Eindruck bekommen, nicht willkommen zu sein, sie wird versuchen, diese Fragen einzukleiden, doch weil der Stoff für unsere Gespräche so dünn und beschränkt ist, wird das, was sie eigentlich wissen will, immer durchscheinen. Ich bemerke es sofort und kann dann das Gespräch nicht weiterführen. Es macht mich wütend, dass sie, wenn sie schon alles einkleiden müssen, dabei so ungeschickt sind. Und noch während ich wütend bin, schäme ichmich. Ich werde mich schämen, weil ich mich über ihr Ungeschicktsein ärgere und nicht darüber, dass wir nicht direkt miteinander reden können. Ich weiß zwar nicht, wo genau ich die Armseligkeit unserer Beziehung verorten muss, aber das ist in dem Moment auch egal, sie ist da, und man sieht etwas davon in meinem Gesicht, auch in dem meiner Mutter, und eine Traurigkeit sieht man natürlich auch, und weil das, mit nüchternem Verstand betrachtet, alles dem Umstand völlig unangemessene Szenarien sind, entschließe ich mich, sie zu vermeiden und es erst gar nicht zu den Fragen kommen zu lassen. Ich liefere die gewünschten Informationen ungefragt.
    Wie lange ich bleiben werde, weiß ich nicht, jedenfalls nicht länger als zwei Wochen, dann geht mein Flug nach Mali. Nein, keine Sorge, es ist nicht gefährlich in Mali, vielleicht gefährlicher als hier, das vielleicht schon. Es gab Überfälle von Tuareg, ja, die mit den blauen Turbanen, auf Pferden mit Maschinengewehren sind sie in die Stadt eingefallen. Der letzte dieser Überfälle liegt schon fünf Jahre zurück. Sie sind sesshaft geworden. Ja, arm, sehr arm sind die Leute da.
    Meine Mutter packt das Essen aus den Einkaufstüten in die Schränke und den Kühlschrank.
    »Es wird dir sicher schnell langweilig werden hier!«
    »Nein, nein«, sage ich, »ich werde mich schon beschäftigen. Ich muss meine alten Anziehsachen aussortierenund schauen, ob ich davon noch was gebrauchen kann, und außerdem möchte ich Johanna treffen. Was ist denn aus Johanna geworden, wohnt sie denn noch hier?«
    Meine Mutter erzählt zuerst, was alles nicht der Fall ist und was sie nicht gesehen hat. Demnach ist Johanna nicht verheiratet. Sie wurde nie in Gesellschaft eines Mannes gesehen. Sie wurde auch sonst in keiner Gesellschaft gesehen. Sie wird überhaupt sehr selten gesehen. Sie lebt mit ihrer Mutter in der Reihenhaussiedlung am Ortsausgang. Dass sie da schon so lange wohnten, sagt meine Mutter, dass sie sich gar nicht mehr erinnern könne, wie das damals mit dem Haus gelaufen sei, ob sie es ganz verkauft oder nur
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