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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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mehr mit«, und dann lächelt sie zaghaft, mein Vaterfühlt sich längst schon nicht mehr zuständig für das Gespräch, er hat sich abgewandt und raschelt mit der Zeitung. Ich nehme dann den Diercke-Weltaltlas und sage, dass ich unglaublich müde sei, ja, die lange Reise im vollen Zug, zwar sitze man nur herum, und trotzdem sei man am Abend müde wie nach einem Marathon. Ich plappere immer weiter so vor mich hin. Noch als ich die Treppen hochsteige und meine Eltern längst in der Küche zurückgelassen habe, erzähle ich wirres Zeug über die Strapazen der Zugfahrt. Erst in meinem Zimmer, das mir, obwohl ich es jetzt nicht einmal mit Mara teilen muss, sehr klein vorkommt, lasse ich das Plappern langsam auslaufen, lege mich angezogen aufs Bett und weine mich ohne Anstrengung in den Schlaf.
    Noch vor dem Morgengrauen weckt mich das Piepen einer eingehenden SMS. Frank schreibt: »Warum meldest du dich nicht?«, weitere Nachrichten folgen. Es sind einfache Fragen, Aufforderungen und Befehle. Zorah spinne jetzt komplett, schreibt er. Ich solle doch verdammt noch mal anrufen. Dann versucht er anzurufen und schreibt wieder: »Annemut, verdammt, jetzt meld dich doch mal, was soll ich denn jetzt tun?«
    Ich schalte das Handy aus, stehe auf, ziehe mir den Wollmantel über und trete auf den Balkon. Es dämmert. Die Berge stehen stumpf, massig und formlos vor dem grauen Himmel. Die Katzen spüren dasLängerwerden der Tage, sie kreischen, jaulen und fauchen.
    »Es ist schlimm, dass es so sein muss«, sagte Johanna an einem solchen Morgen. »Die Weibchen locken sie an, obwohl sie wissen, dass es sehr schmerzhaft sein wird, dass sie sich verletzen dabei. Die Penisse der Kater haben Widerhaken, die sich ins Fleisch bohren und dann wieder rausgerissen werden. Sie wissen das, Annemut! Und trotzdem locken sie die Männchen mit ihrem Gebaren selbst an. Sie können nicht anders.«
    Ich hatte mir über solche Dinge nie Gedanken gemacht. Johanna aber ertrug keinen Frühling, ohne nicht auch seiner Opfer zu gedenken.
    »Wir müssen jetzt laufen, sonst verpassen wir den Zug«, drängte ich.
    Sie hörte mich nicht. Sie stand vor dem Gartenzaun, die Beine hüftbreit ausgestellt, als müsse sie sich einer Kraft entgegenstemmen, einem Sturm oder einem Schlag.
    Ihre Augen waren zwar auf die Katze gerichtet, doch sie sah sie nicht, ihr Blick war leer, sie war aus sich herausgetreten. Der geschmolzene Schnee lief in Schlieren über das Blechdach. Sie glitzerten in der Morgensonne. Die Katze hatte sich zu einem Knäuel zusammengezogen. Sie saß in einer Ecke des Blechdachs, drei Kater hatten unruhig im Halbkreis um sieStellung bezogen. Ihre Schwänze peitschten, sie buckelten, das Fell gesträubt. Die Katze schaute über sie hinweg in Richtung Gartenzaun zu uns. Sie zog die Beine noch enger an sich, ihr Rücken wölbte sich als groteske Beule über den kleinen Kopf. Die vier Katzen steckten ein Feld ab. Wir spürten die Spannung, die über und zwischen ihnen lag. Auch ich konnte mich jetzt nicht mehr abwenden. Wir erwarteten den Zusammenbruch dieser fragilen Konstellation. Johanna griff nach meiner Hand und drückte sie. Ihre war kalt und nass. Ich war so bei mir gewesen, dass ich über diese Berührung erschrak und zusammenfuhr in dem Moment, als sich einer der Kater auf die Katze stürzte. Nie werde ich ihr Kreischen vergessen und das Knurren, das Knurren, das nicht mehr aufhörte. Die beiden anderen Kater fielen über den dritten her, der bereits auf dem Rücken der Katze stand, die sich sträubte und die er mit leichtem Getrampel zu beruhigen und niederzudrücken versuchte. Ein kurzer Kampf der Konkurrenten auf dem Rücken der Katze, der Erste bleibt der Stärkste, die beiden anderen ziehen sich auf ihre Ausgangspositionen zurück. Sie warten und schauen ungeduldig. Die Katze kreischt nochmals auf, ich versuche mir dieses Kreischen zu beschreiben. Ich möchte verstehen, warum dieses Kreischen mir in den Nacken fährt und den Rücken herunter und die Haare am Steiß sich aufstellen lässt. Ich möchte verstehen, was es mit diesem Kreischenauf sich hat. Ich beschreibe es mir stumm: Es ist kein Angstkreischen, sage ich, auch kein Widerstandskreischen. Es ist keine Reaktion, es ist entschlossen. Gleichzeitig scharrt sie wie verrückt mit den Hinterbeinen. Sie wird, kann und will nicht entkommen und muss trotzdem mit den Hinterbeinen scharren und kreischen, angeborenes Verhalten, und hört auch nicht auf, als er sie ins Genick beißt und ihr die
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