Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
Vom Netzwerk:
vermietet haben. So ein riesiges, altes Haus, sicher, in hervorragender Lage, doch es sei einfach zu groß für die beiden allein und ganz ohne Mann im Haus. Der junge Luger habe das Haus ja schon, als er noch da war, herunterkommen lassen. Nichts daran gemacht. Bei den Fensterstöcken fange es schon an, da könne man ja den Wind durchblasen sehen, aber anstatt dass er daran was geändert habe, habe er noch angebaut, ein Atelier für die Dame. Weil nicht schon genügend leerstehende Zimmer im Haus waren. Aber das Licht, sie habe ja ein spezielles Licht gebraucht, die Künstlerin.
    Es sind die höhnischen Redensarten der Männer, der Alten auf den Bänken, die sie nachahmt. Sie bemerktes nicht. Ich bin erleichtert, dass diese Reden mich noch genauso wütend machen wie früher. Es ist eine richtige heilige Wut. Ich lasse sie mir nicht anmerken.
    »Ist denn der Luger nicht mehr hier?«, frage ich.
    »Der ist doch über alle Berge, schon lang, ja eigentlich gleich nach der Sache.« Mit der »Sache« meint meine Mutter den Brand. Das Hinterland hat seine eigene Sprache, eine magische Sprache, die den Wörtern noch ziemlich viel zutraut, in der das, was nicht sein soll, nicht ausgesprochen wird. »Da war doch die Sache bei der Malinowski«, fährt sie fort. Schon wieder die »Sache«, nur anders betont diesmal, rot eingefärbt, es handelt sich um Schlüpfriges.
    Ich möchte, dass sie es ausspricht, stelle mich dumm und frage: »Was denn für eine Sache?«
    »Na, das weißt du doch, was damals alles ans Licht gekommen ist! Jedenfalls«, sie spricht nun sehr schnell, um weitere Zwischenfragen zu verhindern, »ist er danach gleich auf und davon. Und hat sich auch bis heute nicht mehr blicken lassen, keiner weiß was von ihm, die Lugerin selbst auch nicht.« Sie macht eine Pause und bemerkt dann, beinahe nachdenklich: »Also, kurios ist das schon. Jetzt ist er, der Luger, der ja eigentlich hierhergehört, weg, und sie, die bei uns nie Anschluss gefunden hat, die sich immer für was Besseres gehalten hat und noch dazu schuld ist an der ganzen Misere, sie ist dageblieben.«
    »Und was ist jetzt mit Johanna?«, frage ich.
    »Ja, die Johanna? Die Johanna hat sich trotz allem gut gemacht.«

4.
    Am ersten Tag der Pfingstferien stand Johanna um sieben Uhr morgens bei uns im Hauseingang und läutete den Sommer ein. Sie trug eine abgeschnittene, am Saum ausgefranste helle Jeans, ihre Uniform des letzten Sommers, was ich allerdings erst auf den zweiten Blick bemerkte, denn wenn es auch dieselbe Jeans war, so hatte sich Johannas Körper doch so verändert, dass das Kleidungsstück an ihr nun kaum noch wiederzuerkennen war. Die Jeans lag um die Hüften eng an, und auch der Saum schlotterte ihr nicht mehr um die Knie, sondern spannte eine Handbreit oberhalb ihrer Oberschenkel. Das Ganze wirkte nur deshalb nicht obszön, weil man die Jeans kaum noch sah, so weit und lang war das T-Shirt, das sie darüber trug. Die Stoffschuhe vom letzten Jahr hatte sie durch gelbe Gummistiefel ersetzt. Sie hatte einen Plastikeimer bei sich und die stabile HL-Plastiktüte mit den festen Schlaufen, die sie auch als Schultasche benutzte.
    »Krötenwanderung«, sagte sie, »kommst du mit? Ich habe auch Gummistiefel für dich dabei.«
    Die Laichgewässer lagen jenseits des Ortsausgangsschilds. Wir passierten die Pension Malinowski, das letzte Haus im Hinterland, schweigend wie eine Grenzstation. Erst wenn der überbordende, verwilderte Garten der Malinowski in einen kränkelnden Nadelwald überging, die Pforte durchschritten war und wir vollends in eine fein schattierte Verwahrlosung übergetreten waren, setzten wir unsere Gespräche fort. Vorne, direkt an der Straße, war ein längliches Rechteck eingezäunt – Koppel wäre schon zu viel gesagt –, in dem zwei dicke Ponys standen, tagaus, tagein am Elektrozaun, und auf die vorbeirasenden Autos glotzten. In unregelmäßigen Abständen kam eine Horde gehässiger Kinder und stopfte ihnen M&M’s, Toffifees und Chips in die fauligen Mäuler. Ihre Bäuche waren grotesk aufgebläht. Kein Sattelriemen ließ sich mehr um diese Bäuche spannen. Alle zwei Tage kam ein windschiefer, ausgemergelter Greis, schleppte einen Heuballen an und stellte den Wasserschlauch an. Die Ponys warteten, bis er seine Arbeit verrichtet hatte und über die Koppel zurück Richtung Bundesstraße wankte, dann setzten sie ihre massigen kleinen Körper in Bewegung und erreichten eine Geschwindigkeit, die man ihnen nicht zugetraut hätte. Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher