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Einem Tag in Paris

Einem Tag in Paris

Titel: Einem Tag in Paris
Autoren: E Sussman
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sollte, hätte er einen Ausweg. Aber das wusste er die ganze Woche nicht. Er ist einfach immer weiter vorgestoßen, auf unbekanntes Terrain.
    »Sie brauchten eigentlich gar keine Französischstunden, wissen Sie«, sagt Chantal. »Ihr Französisch ist ausgezeichnet.«
    »Aber ich brauchte Sie, um mir dabei den Weg zu zeigen«, sagt Jeremy, während sie den Set verlassen und auf den Louvre auf dem Rechten Ufer zugehen. »Im Französischen. Und in Paris.«
    »Manchmal habe ich vergessen, dass es ein Sprachunterricht war«, sagt Chantal.
    »Ja«, sagt Jeremy. »Es kam mir eher vor wie …« Er weiß kein Wort dafür, in keiner der beiden Sprachen.
    Chantal sieht ihn wartend an.
    »Danke«, sagt er.
    Am Ende der Brücke ist er stehen geblieben. Sie wird durch die Absperrung und zurück nach Paris gehen; er wird sich umdrehen und in die verrückte Welt seiner Frau und seiner Tochter und eines Betts auf der Brücke mitten auf der Seine zurückkehren.
    Er küsst Chantal auf beide Wangen. Sie drückt seinen Arm mit einer Hand, während er es tut.
    Und dann wendet sie sich ab und geht auf die Menge zu, die auf die nächste Szene wartet.
    Er sieht zu, wie Chantal im Gedränge der Leute verschwindet. Dann wendet er sich um. Er denkt an heute Abend, wenn er mit Dana im Bett liegen wird – es ist egal, in welchem Bett in welchem Land. Er wird sich an seine Frau kuscheln. Er wird ihr sagen können, was er ihr sagen will, ohne Worte.

Die Privatlehrer

Chantal ist als Erste im La Forêt, aber das wundert sie nicht. Sie ist immer pünktlich, was bedeutet, dass sie immer auf alle anderen wartet. Sie ist froh, einen Augenblick für sich allein zu haben, ein Glas Wein zu trinken, den anderen zuzusehen, wenn sie hereinkommen.
    Das Café liegt am Ende einer kleinen Gasse im Marais. Im Sommer erstrecken sich die Tische bis auf die Straße. Sie hat sich an einen Tisch unter der Markise gesetzt, nur für den Fall, dass es wieder zu regnen beginnen sollte. Sie hört Musik, aber sie kann die Straßenmusikanten nicht sehen – sie sind von einer Gruppe Touristen verdeckt, die zusehen, während ihr Reiseführer ihnen eine kleine Synagoge zeigt, die sich zwischen zwei alten Gebäuden versteckt in einer Straßenseite befindet. Die laute Stimme des Reiseführers – der Italienisch spricht – kämpft gegen die der chanteuse an. Chantal stellt sich vor, dass wieder einmal eine afroamerikanische Jazzsängerin nach Paris gekommen ist, um hier Erfolg zu suchen. Die Stimme ist kehlig und tief, der Klang heiser und doch beschwörerisch. Die Reisegruppe zieht weiter, und jetzt kann Chantal die Musiker sehen – ein kleines weißes Mädchen singt, und sein Vater begleitet es auf der Gitarre. Das Mädchen muss elf oder zwölf sein, es ist mager und x-beinig, schüchtern hinter dem Mikrofon. Wie kann dieses kleine Ding einen solch gewaltigen, traurigen Klang erzeugen? Wie kann sie genug über das Leben wissen, um den Worten Gewicht zu verleihen?
    Chantal schließt die Augen und stellt sich eine andere Sängerin vor – eine große, gertenschlanke schwarze Frau mit kurz geschnittenem Haar, großen ovalen Augen, einem tragischen Erscheinungsbild. Und während sie das Lied in sich aufnimmt – ein Cole-Porter-Song über den Schmerz des Abschieds –, denkt sie an Jeremy. In dem Augenblick, als er seine Frau auf der Brücke sah, veränderte sich irgendetwas an ihm. Sie konnte es an seinem Gesicht ablesen – er war zu seiner Frau nach Hause gekommen. Er hatte vielleicht einen Tag damit verbracht, mit einer romantischen Idee zu flirten, vielleicht mit einem Hauch von Liebe im Hintergrund, aber er gehörte zu einer anderen.
    Sie gehört nicht zu Philippe.
    Sie erinnert sich an ihr erstes Rendezvous. Er lud sie ein, mit ihr durch den Parc des Buttes-Chaumont zu schlendern, wo sie noch nie gewesen war. Mitten auf ihrer Tour rezitierte Philippe ein Gedicht von François Villon über den Galgen von Montfaucon am westlichen Rand des Parks. Dann hatte sie ihn geküsst, angeregt von dem Gedicht, seinem Mick-Jagger-Mund und dem Staunen über diese saftigen grünen Hügel mitten im Neunzehnten Arrondissement. Monate später hatte ein Mitglied seiner Band sie aufgezogen: War sie auf seinen Trick bei ihrem ersten Rendezvous hereingefallen? Und dann dachte sie an den Kellner in dem Café in der Nähe des Parks, der aus irgendeinem Grund Philippes Namen kannte. Das hieß – er brachte alle Frauen bei ihrem ersten Rendezvous hierher.
    Philippe liebt es, sich zu
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