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Einem Tag in Paris

Einem Tag in Paris

Titel: Einem Tag in Paris
Autoren: E Sussman
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sehnsuchtsvollen Blick? Wonach sehnt sie sich? Nach dem Mann? Dem Mädchen? Er will schreien: »Arrête!«
    Und dann – Gott sei Dank! – schlägt Pascale die Klappe und ruft: »Bravo«. Die Menge applaudiert, als wären sie in einem Ballett und die Aufführung hervorragend. Jeremy kann sich nicht vorstellen, worüber sich alle so freuen. Er ist der Einzige, der nicht Beifall klatscht.
    »Das ist Kunst«, sagt Chantal fast atemlos.
    »Was?«, faucht Jeremy.
    Chantal sieht ihn erstaunt an.
    »Das war wunderschön. Sie hat ein absolut ausdrucksvolles Gesicht.«
    Jeremy kommt sich prüde vor. Vielleicht haben alle anderen auf das Gesicht seiner Frau gestarrt, während er nur einen Penis und eine Vagina sehen konnte.
    Dana kommt zu ihnen herüber, nimmt Jeremys Arm und ruft: »Kommt mit!«
    Sie legt eine Hand um Jeremys Ellenbogen und die andere um Chantals Arm. Sie führt sie zu ihrem Zelt am anderen Ende der Brücke. Erst jetzt wird Jeremy bewusst, dass der Himmel aufgerissen ist und der Regen auf sie herunterprasselt.
    »Lindy!«, ruft er. Auf einmal verspürt er Panik, als wäre sie inmitten dieses Chaos verschwunden.
    »Ich komme gleich!«, ruft Lindy zurück.
    Jeremy dreht sich um – sie steht genau hinter ihnen, und dann dreht sie sich zu einem jungen Mann mit einem Klemmbrett um und beginnt, auf Französisch mit ihm zu reden.
    »Verschwinden wir von hier!«, ruft Dana.
    »Hier«, das ist das Gewitter, das unaufhörliche Grollen des Donners, das Prasseln des Regens auf der eisernen Brücke, die Filmleute, die Ausrüstungsgegenstände in alle Richtungen schleppen. Und Pascale brüllt über den Lautsprecher. Jeremy versteht kein Wort von dem, was sie sagt.
    Danas Assistentin hält die Zeltlasche auf, als hätte sie den ganzen Tag darauf gewartet, ihre Chefin vor dem Regen zu erretten, und Dana ruft: »Du bist ein Schatz!«, während sie in aller Eile hineinschlüpfen – zuerst Dana, dann Chantal, dann Jeremy. Die Assistentin folgt ihnen und führt Dana hinter einen Wandschirm, wo sie ihr aus ihren nassen Kleidern hilft. Jeremy kennt die junge Frau – sie arbeitet jetzt schon seit einigen Jahren für Dana. Er mag sie mehr als die meisten anderen, weil sie nicht mehr will als das – nicht den Job ihrer Chefin, sondern nur das: ihrer Chefin ihren Job ein bisschen erleichtern. Sie ist ein einfaches Mädchen, und davon gibt es in der Filmbranche nicht allzu viele.
    »Sag jetzt nichts«, sagt Dana hinter dem Wandschirm. »Ich weiß, was du denkst. Ich weiß, du bist entsetzt.«
    »Sie sind entsetzt?«, fragt Chantal Jeremy.
    »Er ist entsetzt. Ich habe ihn gewarnt. Aber trotzdem – ich wollte, dass ihr kommt. Augenblick. Ich werde mir selbst die Haare trocknen. Na los, Elizabeth. Würden Sie den anderen einen heißen Tee besorgen? Ich kann den Rest selbst erledigen.«
    Elizabeth taucht hinter dem Wandschirm auf. Sie eilt zu einer provisorischen Küche: eine Kochplatte, ein kleiner Kühlschrank, alles eingerichtet für ein paar Stunden Filmaufnahmen auf einer Brücke mitten auf der Seine. Jeremy staunt noch immer darüber, was die Filmindustrie auf die Beine stellen kann – nicht nur auf der Leinwand, sondern auch für das Arbeitsleben ihrer Stars.
    »Ist es wegen der Nacktheit?«, fragt Chantal Jeremy leise. Will sie nicht, dass Dana sie hört? Nein, sie ermuntert mich zum Reden, denkt Jeremy. Sie weiß, dass im nächsten Augenblick Dana für mich antworten könnte.
    Und seltsamerweise wünschte er, Dana würde für ihn antworten. Er weiß selbst nicht genau, warum er so aufgebracht ist. Es ist nicht wegen der Nacktheit – es ist wegen der Absurdität der Szene. Und es ist wegen noch etwas: Es ist wegen Dana.
    »Du würdest das nicht tun«, sagt Jeremy zu Dana, als sie hinter dem Wandschirm hervorkommt, in einen Plüschbademantel gewickelt, ein Handtuch wie einen Turban um das nasse Haar gedreht.
    »Was würde ich nicht tun?«, fragt Dana.
    »Du würdest nicht dort sitzen und den beiden zusehen.«
    »Du kennst meinen Charakter nicht«, sagt sie schlicht.
    »Niemand würde ihnen zusehen.«
    »Es ist eine Fantasie.«
    »Aber da werden die inneren Sehnsüchte einer Frau zum Ausdruck gebracht. Dass sie ihrem Ehemann und seiner Geliebten zusieht? Das ist doch absurd.«
    »Was würde ich denn tun?«, fragt Dana.
    »Ich weiß nicht«, sagt Jeremy rasch. »Ich nehme an – du hast recht –, ich kenne deinen Charakter in diesem Film nicht.«
    »Wie ist sie denn, die Rolle, die Sie spielen?«, fragt Chantal.
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