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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
Autoren: David Vogel
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einer schrecklichen Waffe und rief in den Raum: »Ein bisschen Ruhe, meine Herrschaften! Es klingen einem ja die Ohren!« Dann wurde es einen Moment ruhig, weil alle Angst vor ihr hatten. Doch kaum war sie in der Küche verschwunden, brandete der Lärm wieder auf. Dann dröhnte ihre kratzige Stimme erneut aus der Küche, wo sie die Köchin und die Dienstmädchen mit Schreien und Tadeln in Tarnower Deutsch herumkommandierte, oder sie erschien und rief: »Malwine, geh mal nachsehen, wohin Vater verschwunden ist!«
    Und Vater, ein würdiger Jude mit herrlich langem weißem Bart, war in eben diesem Moment in einem dunklen Flurwinkel oder in einem freien Gästezimmer damit beschäftigt, eines der gesunden, rotbäckigen und rothändigen Dienstmädchen zu zwicken, dessen Widerstand mittels einiger Münzen geschwächt worden war. Manchmal kehrte Reb Chaim Stock mit einer rot angelaufenen Wange aus dem Flur zurück, weil er eine Ohrfeige in sein würdiges Gesicht bekommen hatte, aber sonst war ihm nichts anzumerken. Er hatte nichts von seiner Würde und Gelassenheit eingebüßt. Das Käppchen, das unter seinem Hut hervorlugte, saß wieder an Ort und Stelle auf seinem Schädel, die kleinen wässrigen Augen blickten kalt und durchdringend durch den Kneifer, von dem eine schwarze Kordel zur Jackentasche führte, und der Bart wallte in voller Pracht. Seine Bewegungen waren so ebenmäßig und gemessen wie immer, und seine Stimme klang ruhig und beherrscht. Lediglich Frau Stock, die ihren Mann nur zu gut kannte, flüsterte ihm leise zu, damit keiner es hörte: »Du alter Schmutzfink!«, ohne irgendeine Antwort zu erhalten.
    So verging die Zeit in dieser Ecke der Großstadt, unter ständigem Wechsel der Dienstmädchen, verursacht zum einen durch Frau Stocks Strenge und zum anderen durchReb Chaim Stocks übermäßige Gewogenheit. Malwine wiederum tuschelte, ohne ihren Platz hinter der Theke zu verlassen, viel mit Max Karp, einem jungen Mann aus Galizien, dessen Kopf so groß und rund war wie ein Kürbis, gekrönt von einem grünlichen Plüschhut mit hängender Krempe auf der blonden Tolle. Er erschien immer zur Essenszeit, eine dicke Tasche unterm Arm. Es gab ein Geheimnis zwischen Malwine und diesem blonden Jüngling, und sie wartete auf einen günstigen Moment, ihn zu heiraten. Vorerst päppelte sie ihn, so zuvorkommend wie einen Ehrengast, mit seinen Leibspeisen, wie Kischke (gefüllter Rinderdarm), Hühnerbraten mit Graupen und gehackter Gänseleber. Mit schwärmerischer Stimme rief sie dann quer über den Saal nach dem Kellner: »Alfred, eine schöne Hühnerkeule für Herrn Karp, ordentlich gebraten!«
    Max Karp besuchte Abendkurse und bereitete sich insgeheim auf die Reifeprüfungen vor. Nach Aussage seines guten Freundes, die treuen Blicks nur würdigen Ohren zugeflüstert wurde, verfasste er herrliche Gedichte und würde einmal ein großer Mann werden. Er hatte noch nichts veröffentlicht, weil die Zeit nicht reif war, »weil, äh, das erkläre ich dir ein andermal«, verstummte dann sein Freund vor lauter Hingabe und Diskretion. Der zu Großem Bestimmte trug etwas ausgetretene schwarze Lackschuhe über grünen Socken. Oft stand er vor der Theke und tuschelte mit Malwine. Strahlenden Gesichts und kokett lächelnd verzehrte sie ihn dann mit den Augen, während sie ein Schnapsglas nach dem anderen für die Gäste ausschenkte und er seinen Stolz notgedrungen fürs Erste herunterschluckte.
    Michael Rost war damals keineswegs aufgeschmissen. Ganz und gar nicht. Erfreulicherweise wurde seine Frage positiv beschieden, im gemeinsamen Zimmer von Schewtel und Jankel Marder in der ersten Etage des Achdut fand sich einfreies Sofa. Er konnte ein paar Nächte bei ihnen verbringen, so er sich beim Ein- und Ausgehen von keinem sehen ließ, und mehr noch: Man lud ihn auch zu einem Glas Tee mit Kuchen ein, was ihm sehr gelegen kam.
    Unterdessen dunkelte es bereits, und Jascha aus Odessa erschien in einem weißen Leinenanzug mit Farbflecken. In der letzten Zeit war Jascha, mangels anderer Möglichkeiten, unter die Anstreicher gegangen und das mit Erfolg. Am Feierabend, nach vollbrachtem Tagewerk, zog er sich um und ging mit der fetten Fritzi ins Kino, um über das bittere Los der armen Henny Porten zu weinen, die verführt und dann mit geschwollenem Bauch verlassen wurde. Jetzt konnte er für ein paar Tage einen Gehilfen brauchen und fand keinen besseren als Michael Rost. Sie verabredeten sich für den nächsten Morgen.
    Jascha war ein mutiger
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