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Eine unberührte Welt - Band 2 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 2 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 2 (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
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Funkboje eingeschaltet.«
    »Ja. Wir empfangen bereits ihr Signal.«
    »Doktor, hätte ich eine Chance gehabt, wenn ich sparsamer gewesen wäre mit dem Sauerstoff und der Energie? Wenn ich die ganze Zeit geschlafen hätte, anstatt die Trümmer abzusuchen und stundenlang mit Callisto zu reden?«
    »Nein, Joan. Nicht einmal dann. Sie hätten schon eine Hibernation herbeiführen müssen, und dazu hatten Sie nicht die Mittel.«
    Auf eine merkwürdige Weise beruhigte sie das. Ob er wohl log, um ihr Selbstvorwürfe zu ersparen?
    »Werde ich eine Weltraumbestattung bekommen?«
    »Selbstverständlich.«
    »Und eine Namenstafel in der Ehrenhalle der Gilde?«
    »Sicher.«
    »Doktor Wang, ich habe ein paar Aufzeichnungen gemacht, für meinen geschiedenen Mann und meine Tochter …«
    »Wir werden sie weiterleiten.«
    »Gut.« Sie lauschte ihrem eigenen Atem, horchte dem Klang der Worte nach, die einzeln in einen tiefen, bodenlosen Abgrund zu fallen schienen.
    »Joan?«, hörte sie den Arzt fragen. »Kann ich sonst irgendetwas für Sie tun?«
    »Nein«, hauchte sie und sah die Feuchte ihres Atems sich in hauchfeine, nebelhafte Eiskristalle verwandeln. »Ich glaube nicht.«
    »Vielleicht möchten Sie dann die Energie im Augenblick sparen und lieber später noch einmal mit mir sprechen?«
    Sie zögerte. Zögerte, dieses Gespräch loszulassen, diesen letzten dünnen Faden in die Welt der Lebenden. »Nein. Ich glaube, ich werde nicht mehr anrufen.«
    »Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung, Joan.«
    »Danke. Leben Sie wohl, Doktor.«
    »Ich wünsche Ihnen alles Gute, Joan.«
    »Vielen Dank.«
    Die Verbindung erlosch mit einem knackenden Geräusch, und dann war sie allein. Wirklich allein, dachte sie. Nur noch ich und das Universum. So war das also.
    Sie überlegte, was sie nun tun wollte. Im Zelt zu bleiben und abzuwarten kam ihr irgendwie unwürdig vor. Nein, sie würde hinausgehen. Im Angesicht der Sterne zu sterben war das Mindeste, was sie sich als Raumfahrerin schuldig war.
    Eine Weile überlegte sie daran herum, wie sie den Sauerstoff aus dem Zeltinneren in die Tanks des Raumanzugs bekommen konnte,fummelte an der Schleusenpumpe herum und verglich Anschlüsse, dann ließ sie es bleiben. Unnützer Aufwand. Darauf kam es jetzt auch nicht mehr an.
    Sie zog die Handschuhe an, zum letzten Mal, setzte den Helm auf, zum letzten Mal, arretierte die Befestigung. Zum letzten Mal. Jeder Handgriff ein Abschied. Jeder Blick ein Loslassen. In allem, was sie tat, war eine kristallene Klarheit.
    Als sie aus der Schleuse hinauskroch, erschrak sie, wie dunkel es war. Der Jupitermond war weitergewandert auf seiner Bahn und durchquerte nun den Schatten des Gasriesen, der dunkel und düster am Firmament prangte wie eine glattpolierte Marmorkugel. Jetzt, da Jupiter nicht mehr alles überstrahlte, sah man die Sterne, Tausende und Abertausende davon, kostbares Geschmeide auf dem schwarzen Samt der Unendlichkeit. Joan stand da und schaute, schaute und wünschte, sich einfach auflösen zu können in der Bodenlosigkeit um sie herum. Warum konnte man das nicht? Was hielt einen in dieser körperlichen Hülle?
    So einfach war es wohl nicht. Sie wurde müde vom Stehen und suchte sich einen Platz, an dem sie sitzen und sich anlehnen konnte. Schließlich beschloss sie, sich vor die Rettungskapsel zu setzen, den Blick auf Jupiter gerichtet. So saß sie, dachte nach, schaute auf die Sterne, die ihr Schicksal gewesen waren, und hörte ihrem Atem zu, der rasch und tief ging, obwohl sie nur ruhig dasaß. Die Luft schien schon schlechter zu werden. Doktor Wangs Ratschlag fiel ihr ein, und sie verabreichte sich alle Beruhigungstabletten, die in der Ausrüstung enthalten waren.
    Dann stöpselte sie das Aufzeichnungsgerät an, verzichtete auf allen Verschlüsselungsfirlefanz, schaltete einfach nur ein. »Das Folgende ist nochmal für Frederic. Frederic – ich weiß nicht, wieso ich gerade jetzt so viel an dich denken muss. Ich schätze, weil du eben doch der Mann meines Lebens warst. Dabei waren wir nur fünf Jahre zusammen. Insgesamt, meine ich. Du bist der Vater meiner Tochter. Das verbindet. Obwohl, nein. Es ist andersherum. Ich bin die Mutter deiner Tochter. Cheryl ist so sehr deine Tochter, dass es manchmal weh tat, sie zu sehen.«
    Die Pausentaste war beinahe zu schmal, um sie mit dem behandschuhten Finger zu bedienen. Sie keuchte. Ließ die Aufnahme weiterlaufen. Keine Zeit, sich die Worte sorgfältig zu überlegen. »Weißt du, ich überlege jetzt
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