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Eine Stuermische Nacht

Eine Stuermische Nacht

Titel: Eine Stuermische Nacht
Autoren: authors_sort
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können Sie den verdammten Titel mitnehmen.«
    Es war angenehm gewesen, das zu sagen, aber als er jetzt den Kopf bei der nächsten Welle mühsam über Wasser hielt und die Kälte tiefer in seine Knochen drang, versuchte sich Barnaby daran zu erinnern, welche Ereignisse zu der Notlage geführt hatten, in der er sich derzeit befand. Aber sein Verstand fühlte sich irgendwie benommen an, und es fiel ihm schwer, seine Gedanken zu steuern. Wie eine Schlange, die sich um ihr Opfer wickelt, entzog ihm das eisige Wasser nach und nach alles Leben, und mit jeder Sekunde wurde sein Überlebenswille schwächer.
    Es wäre so leicht, so einfach, dachte er, dem Unwetter seinen Willen zu lassen, so leicht, einfach aufzuhören, sich zu wehren und zuzulassen, dass er in die Tiefe gezogen wurde … Eine Welle schlug ihm ins Gesicht, schreckte ihn auf und zerstörte die verführerische Melodie des Todes, die in seinem Kopf erklang.
    Mit einem Fluch nahm er seinen Kampf wieder auf, in der Dunkelheit über Wasser zu bleiben – und wenn auch nur ein paar Augenblicke länger. Er kümmerte sich nicht um den brennenden Schmerz an seinem Hinterkopf; er konnte sich vage daran erinnern, dass er sein Messer, das er an seinem Bein verborgen trug, aus der Scheide gezogen hatte. Mithilfe der scharfen Klinge hatte er sich von seinen Stiefeln und seinem schweren Mantel zusammen mit seinem Rock befreit, kurz nachdem er ins Wasser gestürzt war, weil er wusste, die Kleidungsstücke würden sich voll Wasser saugen. Ihr zusätzliches Gewicht würde ihm das Schwimmen unnötig erschweren. Er hatte das Messer noch eine Weile in der Hand behalten, bis er erkannte, dass es ihn behinderte; schweren Herzens hatte er es den Wellen überlassen. Diese Erinnerungen halfen ihm wenig, denn er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er hier im Ärmelkanal gelandet war. Aber, seltsam genug, er wusste, er war im Ärmelkanal. Aber wo genau oder wie er hierher gelangt war, konnte er nicht sagen. Sein Verstand war wie leer gefegt – wegen der tödlichen Kälte genauso wie wegen der Wunde an seinem Hinterkopf.
    Er runzelte die Stirn. Woher, zum Teufel, wusste er, dass er eine Wunde hatte? Und wieso konnte er sagen, dass sie blutete? Wieder hatte er keine Antworten, und als sein Kopf unter einer neuen Welle unter Wasser geriet, war der Drang, die Sache zu beenden, die Kälte und den Ärmelkanal gewinnen zu lassen, nahezu unwiderstehlich.
    Aber wie seine Freunde oft genug feststellten, er konnte störrisch wie ein Esel sein. Und mit einem kräftigen Schlag seiner langen Beine kam er wieder über Wasser. Er würde es nichts und niemandem leicht machen, ihn umzubringen, das schwor er sich mit einem wilden Grinsen. Ein weiterer Blitz erhellte den schwarzen Himmel, und in dem Augenblick erspähte Barnaby etwas, das sein Herz höher schlagen ließ: Mehrere zusammenhängende Bootsplanken trieben nur etwa zwei Meter von ihm entfernt im Wasser. Er erkannte, dass es Teile vom Boden der Jacht sein mussten, die er zusammen mit allem, was dem verstorbenen siebten Viscount Joslyn gehört hatte, geerbt hatte. Er kämpfte sich bis zu diesem Hoffnungsschimmer, den die Planken darstellten, und bemühte sich um die Erinnerung, wo die Jacht vor Anker gelegen hatte; schließlich hatte er Erfolg: in der Nähe von Eastbourne an der Küste von Sussex. Aber was, um alles in der Welt, hatte er dort getan?
    Er hatte keine Zeit, weiter nachzudenken – seine ganze Konzentration galt dem Überleben – und auch wenn es ihm schien, als brauchte er Stunden dazu, die Planken zu erreichen, streiften seine Finger schon nach wenigen Minuten das glitschige Holz. Er brauchte länger, sich aus dem Wasser zu ziehen, weil die aufgewühlten Wellen und die rutschige, sich wild bewegende Holzfläche seine Bemühungen ein ums andere Mal vereitelten, aber schließlich gelang es ihm doch, sich auf das behelfsmäßige Floß zu hieven.
    Um Atem ringend rollte er sich auf den Rücken; der Regen prasselte ihm ins Gesicht, während er in den schwarzen Himmel starrte. Er fror erbärmlich, seine Zähne klapperten, und sein Körper zitterte vor Kälte. Er musste daran denken, dass er die eine Todesart vermutlich nur gegen eine andere eingetauscht hatte. Den Elementen schutzlos ausgeliefert zu sein, würde ihn so sicher umbringen wie die Schlinge des Henkers, aber er würde nicht durch Ertrinken sterben, sagte er sich grimmig. Und das, war sein letzter Gedanke, ehe er das Bewusstsein verlor, war in gewisser Weise auch ein
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