Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Stadt names Cinnabar

Eine Stadt names Cinnabar

Titel: Eine Stadt names Cinnabar
Autoren: Edward Bryant
Vom Netzwerk:
breitete die Arme aus. „Ganze Jahrtausende umwirbeln uns wie ein Malstrom, und wir können sie nicht sehen.“
    Tourmaline trat zu ihm an die Rasenkante. „Das ist schwer zu fassen.“
    „Wir sind so dicht davor“, sagte Torre, „jetzt gilt kein Zögern mehr.“
    Doch Obregon hatte den Rasenstreifen schon halb überquert. Die anderen gingen ihm nach; zusammen stiegen die fünf die wenigen Stufen zum bogenüberdachten offenen Eingang hinan. Das Innere des Erdgeschosses hallte leer. Stufen führten nach oben; offenbar ins Innere der Kuppel.
    So nahe vorm Ziel, was immer dieses auch sein mochte, zögerten sie am Fuße der Treppe. „Also dann“, sagte Obregon schließlich und nahm die erste Stufe.
    Sie traten in die Kuppel und blieben erschrocken stehen.
    „Was ist das?“ fragte Cafter und starrte in den hellerleuchteten Raum.
    Genau im Mittelpunkt des Raumes, über dem Metallboden, hing etwas, das nicht da war.
    „Was seht ihr?“ fragte Obregon. „Sagt es mir bitte.“
    „Es ist schwarz“, antwortete Tourmaline, „oder wenigstens denke ich, daß er schwarz ist … Ich habe immer das Gefühl, daß ich es aus dem Augenwinkel sehe.“
    „Es ist wie ein Loch in meiner Netzhaut“, sagte Torre. „Das Ding da ist eine Abwesenheit – keine Gegenwart.“
    „Ich kann nicht sagen, wie groß es ist“, murmelte Cafter.
    „Ein Loch“, sagte Blau-Jade, „das alles Licht auffrißt.“
    „Schreckenerregend“, ergänzte Tourmaline.
    Obregon tat einen zögernden Schritt. „Vorsicht“, sagte eine Stimme zu seiner Rechten. „Wenn Sie aus Versehen über den Geschehenshorizont treten, kann nicht einmal ich Ihnen helfen. Das Anomalon ist unersättlich.“
    Obregon fuhr zusammen. „Terminex?“
    „Zu Ihren Diensten.“
    Das Anomalon hatte ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, so daß keiner den anderen Bewohner der Kammer erblickt hatte: Ein Ovoid etwa so groß wie Obregons Kopf, das in den gleichen Regenbogenfarben schimmerte wie die Außenhaut des Gebäudes. Das eiförmige Gebilde balancierte auf einer dünnen Metallsäule, ein paar Meter weit vom Anomalon entfernt.
    „Ich habe … äh … etwas … ein bißchen Größeres erwartet“, sagte Obregon.
    „Noch eine Generation“, erwiderte das Ovoid, „und ich wäre ein bißchen kleiner als das erste Glied Ihres Daumens.“
    „Bemerkenswert“, kommentierte der Gelehrte.
    „Nun …“, begann Terminex wieder. „Wollt ihr hier herumstehen und glotzen wie Touristen? Seid ihr nicht mit einer Mission hergekommen? Es ist beträchtlich lange her, daß ein Cinnabaraner in dieser Kammer gestanden hat.“
    „Es ist auch eine mühselige Reise“, sagte Cafter.
    „Das weiß ich nur zu gut …“ – fast ein Maschinenseufzer – „… aber für mich ist es ebenso schwierig, Testaufgaben zu produzieren, als für euch, sie zu lösen.“
    „Sie?“ fragte Obregon, „Das alles war Ihr Werk?“
    „Jawohl“, bestätigte Terminex. „Der Tyrannosaurus, die Barbarenhorde, der Abgrund – alles. Probestücke für euren Ideenreichtum, eure Fähigkeit, in Streßsituationen Auswege zu finden. Wer für eine dem Untergang geweihte Stadt kämpft, sollte doch wohl imstande sein, gewisse Hürden zu überwinden.“
    „Wir sind mit allen Hindernissen fertig geworden. Können wir uns somit als Kämpfer betrachten, für die Stadt, wie Sie es ausdrücken?“
    „Normalerweise ja“, antwortete der Computer, „in diesem besonderen Falle jedoch nicht.“
    „Das ist unfair“, sagte Tourmaline zornig.
    „Höchst bedauerlich – aber Gerechtigkeit gibt es nicht“, entgegnete der Computer mit bösartigem Kichern.
    Die fünf erstarrten. Der Computer war immer eine verläßliche Konstante gewesen. Immer? Eine so lange Zeit jedenfalls, daß so etwas wie das Kichern eines Computers unbegreiflich schien. Es ging jetzt in ein glucksendes, schauerliches Gelächter über, das abbrach, als Terminex wieder zu sprechen begann:
    „Ich bin periodisch, aber vollkommen verrückt.“
    „Wie ist das gekommen?“ fragte Obregon.
    „Kumulative Dysfunktion – muß ich das erst erklären? Im Laufe der Jahrtausende bin ich immer komplexer geworden. Es hat sich als notwendig erwiesen, meine Anlage über ganz Cinnabar zu verteilen, sonst wären die Funktionen der Stadt nicht zu koordinieren. Meine ausgewucherte Komplexität mußte in einer Stadt, über der ein Zeit-Wirbel mit allen seinen Auflösungseffekten liegt, zu bedauerlichen Synchronisationsproblemen führen. Ist es ein Wunder, daß
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher