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Eine Stadt names Cinnabar

Eine Stadt names Cinnabar

Titel: Eine Stadt names Cinnabar
Autoren: Edward Bryant
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Augen springenden Anfangszeilen, die Interesse und Aufmerksamkeit des Durchschnittslesers erregen.
    Für meine cleverste Schöpfung hielt ich die Zeile: Eines Tages vergaß der Papst, die Pille zu nehmen. Eine Geschichte, die ich nie geschrieben habe und vermutlich nie schreiben werde. Aber irgendwo am Ende der Seite stand der Satz: Ausgebrannte Hülsen einstiger Schulbusse säumten die Straße nach Cinnabar. Hier tauchte die Stadt zum ersten Mal in meiner Prosa auf.
    (g) Viele Jahre lang habe ich die Werke des englischen Autors J. G. Ballard voller Bewunderung gelesen, besonders seine Ge schichten über die konstant dekadente Stadt Vermilion Sands.
    (h) Vermutlich ist (g) der Grund, daß ich eine eigenartige Beziehung zu Venice im Staat California (Vermilion Sands West) entwickelt habe.
    (i) Das Vorspannzitat kam nach dem Buch. Erst als alle Geschichten bis auf eine fertig waren, wies mich jemand darauf hin, daß das Metall Zinnober eine taoistische Bedeutung hat. Das hat mich natürlich erregt und fasziniert.
     
     
    Cinnabar, Stadt der Hoffnungen, dem Untergang geweiht, Sammelplatz der Paradoxe! Die obigen historischen Anmerkungen dürften fürs erste genügen. Ich möchte diese Einleitung mit nur zwei Wünschen abschließen: erstens, daß man aus dieser Geschichtensammlung eine Summe ziehen möge, die größer ist als die simple Addition der einzelnen Posten; und zweitens, daß der Leser oder die Leserin an dem einen oder dem anderen Punkt wünschen möge, er oder sie befände sich in der Stadt, wo diese Geschichten spielen.
    In lockerer Anspielung auf ein Wort von W. C. Fields: Wenn ich mir alles richtig überlege, dann würde ich persönlich auch lieber in Cinnabar leben.
    Denver, August 1974  EDWARD BRYANT

 
Die Straße nach Cinnabar
     
     
     
    Durch die Bodenverwerfungen der Wüste wand sich eine staubige Wegspur um windverschliffene Hügel, über trockene Strombetten, durch verklumptes graues buschiges Unterholz. In gerader Richtung, doch stets in Sichtweite der Straße, verlief der etwas erhöhte Bahnkörper. Seit Jahrhunderten waren dort keine Züge mehr gefahren, und die Geleise waren mit graugrünem Unkraut überwachsen. Auf den Signaldrähten blies der Wind atonale Scherzos, wenn auch selten jemand vorbeikam, der sie vernahm.
    Weiter zur Stadt hin säumten ausgebrannte Hülsen einstiger Schulbusse die Straßenränder.
    Dann kam der Grüngürtel, ein meilenbreiter Streifen baumbestandenen Graslandes, ständig von kleinen geräuschlosen Maschinen gepflegt. Liebespaare und Naturfreunde ergingen sich dort manchmal.
    Endlich die Stadt Cinnabar – eine auswuchernde Anhäufung von gläsernen Türmen und metallenen Mauern oben auf den roten Klippen, an deren Fuße sich ein Geröllfeld bis zu einem schmalen Streifen Strand und dann ins Meer erstreckte.
    Die Wüste. Der Grüngürtel. Die Stadt. Das Meer. Daraus bestand die Welt – viel mehr war es nicht. Die erhöhten Geleise führten, wie es hieß, zu einem Ort namens Eis. Aber ganz genau wußte das niemand; keiner erinnerte sich, jemals so weit gereist zu sein.
    Auf der Straße nach Cinnabar tauchte eines Tages ein Mann auf. Soldatenlieder pfeifend kam er aus der Wüste und schritt in Richtung Stadt. Ein großer, magerer Mann. Sein schweißfleckiger weißer Burnus flatterte hinter ihm wie Fledermausflügel. Er hatte die Kapuze, um mehr Schatten zu haben, weit nach vorn gezogen, doch sie konnte die lange Hakennase nicht verbergen. Am Grüngürtel blieb er stehen. Flanierende Pärchen beäugten ihn ungeniert.
    „Ich suche ein Gasthaus oder Hotel oder dergleichen“, rief er eines der Paare an. Die beiden blieben stehen und wechselten Blicke. Das Mädchen – bleich und schön, aber auf der Wange hatte sie eine lange ausgezackte Narbe – lachte lautlos vor sich hin, als fände sie die Frage aus irgendeinem persönlichen Grunde komisch. Ihr Begleiter dachte einen Moment nach und sagte dann: „Probieren Sie’s im ‚Coronet’.“
    „Ich weiß hier nicht Bescheid. Sagen Sie mir, wo es ist“, erwiderte der Reisende ungeduldig.
    „Gehen Sie einfach hier diesen Weg weiter“, erläuterte der junge Mann.
    „Über dem Eingang ist eine Krone“, sagte das Mädchen so leise, daß seine Stimme kaum das Rieseln des Brunnens übertönte.
    „Bedanke mich“, entgegnete der Reisende, wandte sich ab und ging auf die Straße zu.
    „Fremder?“
    Er drehte sich um, und der junge Mann rief: „Wie lange haben Sie für den Weg durch die Wüste gebraucht?“
    Der
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