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Eine Stadt names Cinnabar

Eine Stadt names Cinnabar

Titel: Eine Stadt names Cinnabar
Autoren: Edward Bryant
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daß sie die Wahrheit sprach.
    Es gab einen dumpfen Knall, als wenn ein Korken aus der Flasche gezogen wird, und ein Gegenstand, so groß wie ein Finken-Ei und ebenso gefärbt, fiel auf die Tischplatte. Leah nahm ihn auf, klopfte ihn kräftig auf das Eichenholz und zog einen zusammengefalteten Zettel aus den Schalenstücken. „Wahrscheinlich von der Redaktion“, sagte sie, entfaltete das Papier und las mit stummer Bewegung der Lippen. Zettel und Eierschalen gingen in Luft auf.
    Leah stieß ihren Stuhl zurück. „Tut mir leid, Wylie. Ich muß gehen. Aber wir sehen uns noch.“
    „Bald?“ fragte Cafter nach kurzem Zögern.
    „Bald für Sie. Ich muß zum STADT ZENTRUM.“
    „Ich werde Sie vermissen.“
    „Wirklich?“ lächelte Leah, doch etwas verwirrt, wie ihm schien. „Das dürfen Sie nicht.“
    Cafter nippte an seinem Bier und senkte die Augen. „Gewiß. Sagen wir also, ich wünschte, Sie würden nicht weggehen, und ich hätte Zeit, Sie besser kennenzulernen.“
    „Wylie, das ist es nicht, was ich …“ Gedankenverloren stellte sie ihr Glas hin und stand auf. Unvermittelt beugte sie sich vor und küßte Cafter auf die Stirn. „Wir sehen uns noch.“ Ein Aufrauschen des weiten Rockes, ein flüchtiges Lächeln für Kaufmann, und sie war verschwunden.
    „He, Peitschen-Mann“, rief Cafter dem Wirt zu. „Noch ein Bier!“
     
     
    Hier in den Außenbezirken von Cinnabar ging der Nacht nur eine ganz kurze Dämmerung voraus. Wie aus leeren Flaschen gegossen, drückte die Dunkelheit an Cafters Fenster, bevor er mit seinem Bier fertig war. Im Coronet war es inzwischen leerer geworden. Er trank seinen letzten Schluck und trat hinaus. Die Straße war verlassen; Cafter bog in eine rissige, holperige Nebenstraße ein. Dort gab es eine Reihe von Läden mit herabgelassenen Jalousien und verschlossenen Türen. Er bog um die erste Ecke und kam in einen kleinen Park mit einem grasigen Hügel in seiner Mitte, auf dem, von Bänken umgeben, ein mannshoher steinerner Obelisk mit einer glatten Platte stand. Cafter betastete das Metall. Seine Finger verrieten ihm, daß die Platte einst eine Inschrift getragen hatte, die aber nicht mehr lesbar war. Er versuchte, die Schrift abzutasten, doch sie war zu verschliffen. Nur vier tiefer eingeritzte Ziffern konnte er erkennen: eine 2, eine 3 … sie verliefen beinahe wie die Wirbel seiner Fingerspitzen … 96 …
    Cafter setzte sich auf eine Bank und blieb sitzen, bis es völlig dunkel war. Er saß nach Süden zu, in Richtung auf die Wüstenstraße und die Bahnlinie nach Eis. Dicht überm Horizont leuchteten die Sterne klar und kalt wie die Augen von Wüstentieren, die für Sekundenbruchteile vom Feuerschein geblendet sind. Cafter zog mit dem Auge die wohlbekannten Sternbilder nach, hinauf bis zum Zenith, wo die Sterne in mannigfachen Farben funkelten. Er stand auf und wandte sich nach Norden, dem fernen Zentrum der Stadt Cinnabar zu. Dort blinkten die Sterne schneller, bis die Bilder im weißlichen Schimmer über der Innenstadt verschwammen.
    In den Straßen gingen die Lichter an, Bäume, Rasen und Bänke wurden wieder Wirklichkeit, der dunkle Himmel trat zurück. Langsam ging Cafter wieder zum Coronet.
    Über dreißig bodengängige Cyclusfahrzeuge parkten jetzt vor dem Gasthaus, und mühsam mußte sich Cafter seinen Pfad durch diesen stählernen Vorgarten suchen.
    Ein schrecklicher Krach – er mußte sich durch ihn drängen wie durch eine zweite Tür, als er das Lokal betrat. Die Musicbox lief in voller Lautstärke und säumte die menschlichen Dezibels mit dem tiefen schweren Beat der Moog- und Schlagzeugsektion. Leahs Tisch, an dem er Platz nahm, war unbesetzt. Touristen waren nicht mehr da. Im vorderen Raum saßen die Cyclusfahrer, riesige muskulöse Männer mit ihren riesigen, muskulösen Frauen. Sie waren einheitlich gekleidet: unsaubere, enge, karierte Hosen, ärmellose Jacken mit Hakenkreuzen, deren Arme linksherum zeigten, auf die Rücken genäht. Alle, Männer und Frauen, waren vollständig kahl rasiert. Es roch nach Bierfürzen, Schweiß, Urin. Die kleinen Tische hatte man beiseite geschoben und ein Billard aufgestellt. Zwischen den rauhkarierten Fahrern bewegten sich Enrique und Gonzalez, die Rausschmeißer, weder verstohlen noch provozierend, doch mit dem Ausdruck der Bereitschaft. Matthias Kaufmann stand hinter der Theke und schenkte mit mechanischer Fertigkeit Bier ein.
    „Das greift alles so gut ineinander“, sagte Cafter leise.
    „Kann ich Ihnen helfen,
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