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Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Titel: Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
Autoren: Andrea Camilleri
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fünfunddreißig Sbirren griffen und vor den Toren der Stadt erschossen), auf die Idee, zum Torre-Gefängnis von Borgata Molo zu gehen und die einhundertvierzehn Personen abzuzählen, die dort von einem bourbonischen Befehlshaber ermordet worden waren. Der Knackpunkt war folgender: Jene Knastbrüder durfte man guten Gewissens als Unpersonen bezeichnen, doch da auch der blutrünstigste und hinterhältigste Sbirre immer noch als menschliches Wesen zählte, konnte die Rechnung in keiner Weise aufgehen: Es war, als wollte man eine Trillerpfeife gegen ein Klavier eintauschen. Nicht auf Kosten der Toten zu spekulieren, entsprang gewiß keiner stolzen und ehrenwerten Absicht: Die Wahrheit ist, daß es gewichtige und sehr viel weniger gewichtige Tote gab. Und das ist eine Wahrheit, die heute noch – man denke an die täglich neuen Toten, die Radio und Fernsehen uns sozusagen als Nachspeise zum Mittag- oder Abendessen servieren – sehr schwer auszusprechen und noch sehr viel schwerer zu akzeptieren ist. »Ihr Toten seid nicht alle gleich«, sagte an einer Stelle Hector in der herrlichen Komödie von Jean Giraudoux mit dem Titel Der Trojanische Krieg findet nicht statt (ein Bonmot, das vom Regime De Gaulles jedesmal zensiert wurde, wie mir der Sohn des Komödienautors erzählte).
     Jene einhundertvierzehn waren bestimmt nicht »gleichrangig«: Und so tauchen sie in der Chronik nicht auf, da sie alle Rechte bereits an dem Tag verloren, als sie ihren Fuß in die Strafanstalt setzten und »Strafsklaven« wurden. Und weil sie nun mal nicht in der Chronik auftauchen, wurden sie auch von der Geschichtsschreibung vergessen. Nur ihrer Strafe waren sie bis zum Tod ausgesetzt, ja wurden selbst des Todes beraubt und mußten außerdem ein zweites Massaker über sich ergehen lassen: ein Massaker nicht an ihren Leibern, sondern am Gedenken an sie.

    Dezember 1982 – Januar 1983

    WIE EINE GROSSE KLAMMER IM SATZ

    Der Kanonenschlag der Revolution von 1848 erreichte Pantelleria in derart abgeschwächter Form, daß man ihn beinahe gar nicht gehört hätte (im übrigen liegt die Insel ja viel näher bei Tunesien als bei Sizilien), wären da nicht gewisse Leute gewesen, die ihre Ohren gespitzt hatten. Es waren die, die Verwandte in den Gefängnissen hatten, und obendrein die wenigen Liberalen, die dank der politischen Exilierten – die zur Verbüßung ihrer Strafe auf die Insel geschickt worden waren – in antibourbonischem Gedankengut groß geworden waren. Im Vergleich zu Palermo fand die Revolution mit einer Verspätung von zwei Monaten statt; es handelte sich jedoch um einen Sturm im Wasserglas, der sich in Form von Geschrei, Demonstrationen, gezückten Gewehren, aus denen kein Schuß abgegeben wurde, zeigte. Doch der Wirbel war dem bourbonischen Kommandanten des Kastells mehr als genug, so daß er sich, nachdem er sicheres Geleit erhalten hatte, mit der gesamten Garnison auf dem erstbesten Schiff einschiffte und im Handumdrehen verschwand. Am sechsundzwanzigsten März bildete sich ein provisorisches Komitee für die Ortsverwaltung: Beinahe überflüssig zu erwähnen ist, daß sich unter den vierzig Mitgliedern nicht ein Mitglied liberaler oder republikanischer Gesinnung befand. Vorsitzender wurde der Erzpriester D’Ajetti, zweiter Vorsitzender der Rechtsanwalt Francesco D’Ajetti, der sich während der Aufstände im Jahr 1820 ausgezeichnet hatte, indem er dem Bourbonenkönig hundert »groß und kräftig gewachsene« Soldaten schickte, die er aus eigener Tasche besoldete. Mit anderen Worten: Die Stadthonoratioren hatten sich angesichts der Ereignisse in den ersten Tagen des Monats sogleich in Sicherheit gebracht und sorgten so dafür, daß alles weiterlief, als wäre weder auf Pantelleria noch im Rest der Welt, Palermo inbegriffen, etwas geschehen.
     Geschehen war aber, daß auf der Insel ein Mann lebte, der zu viele Rechnungen mit den Leuten offenstehen hatte: Es handelte sich um Don Federico Nedele, Zolleintreiber und Polizeichef, ein Junggeselle, dem der Ruf großer Rigidität anhaftete. Dieser Gentleman liebte es nämlich, die Schuldigen in aller Öffentlichkeit zu foltern, bevor er sie in den Kerker warf. Er hatte mitten auf den Platz von Piano Piccolo einen Hocker stellen lassen, auf den der Verurteilte bäuchlings geschnallt wurde, das nackte Hinterteil offen zur Schau gestellt, ihm verpaßte er so viele Peitschenhiebe, wie die Inspiration und die Laune des Augenblicks ihm eingaben, denn der Herr Zolleintreiber, der in Sachen
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