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Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Titel: Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
Autoren: Andrea Camilleri
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Gesetzesparagraphen und Pandekten völlig unbeschlagen war, ging nach dem sogenannten System »Trommelfeuer« vor. Er beschränkte sich jedoch nicht auf blutige Peitschenhiebe; der Historiker Angelo D’Ajetti schreibt in seinem Libro dell’ Isola di Pantelleria (Buch der Insel Pantelleria), »daß Don Federico andere Kriminelle, die sich schwerer Vergehen schuldig gemacht hatten, aufs Schafott gebracht hat«. Als sich dann ein schwacher Schatten von Revolution zeigte, war der erste Gedanke derer, die es bereits mit Don Federico zu tun gehabt hatten, ihn in ihre Gewalt zu bringen. Don Federico aber hatte sich zusammen mit seiner alten Mutter und dem Stiefbruder Giuseppe Pineda in seiner Villa verschanzt, die genau in Piano Piccolo stand (dem Steuereintreiber gefiel es offensichtlich, auch bei der Arbeit dem heimischen Herd nahe zu sein; vielleicht konnte die alte Mutter so vom Fenster aus hin und wieder einen Blick auf den Zeitvertreib ihres Söhnchens werfen, das mit der Peitsche zugange war). Er hatte sich derart gut verschanzt, daß ein erster Überfallversuch in einer allgemeinen Flucht der Angreifer endete. Darauf beschlossen sie, einen Kunstgriff anzuwenden. Eine Abordnung begab sich zu dem wichtigsten Mann der Insel, mit dem Don Federico sehr gut bekannt war, und überredete ihn, an die Tür des Zolleintreibers zu klopfen mit der Versicherung, daß sie ihm kein Haar krümmen würden, nur einige Erklärungen von ihm wollten. Die Annahme, daß ein Ehrenmann sich wie ein Köderfisch verhält und sofort den Angelhaken schluckt, bedeutet der Tradition der Mafia Unrecht zu tun; offensichtlich muß es noch andere, uns nicht bekannte Gründe gegeben haben, weshalb der Mafioso an jene Tür klopfte. Als Giuseppe Pineda den Ehrenmann erkannte, machte er auf. Dann war alles nur noch eine Frage von Sekunden: Die Menge stürzte ins Haus, als erster wurde Pineda mit einem Pistolenschuß kaltgestellt, als zweiter Don Federico, der vor Schreck nichts besseres gewußt hatte, als sich in die Arme seiner Mutter zu flüchten.
     Während der Kopf des Steuereintreibers auf ein Schwert gespießt im Prozessionszug durchs Dorf getragen wurde, schnaubte und schimpfte der Mafioso (zumindest tat er so), daß er das unschuldige Opfer eines Betrugs geworden sei. Am selben Abend versammelten sich einige Männer, die »den Kopf auf den Schultern trugen« (der Ausdruck stammt von dem Historiker D’Ajetti).
     Tags darauf übernahm Vito Salsedo, einer, dem man bei Dunkelheit besser nicht über den Weg lief, die Befehlsgewalt über eine Gruppe von Vigilanten: Vierundzwanzig Stunden später setzte er fünfzehn Personen gefangen, die laut Volksstimme an der Ermordung Don Federico Nedeles beteiligt gewesen waren, und ließ sie alle zusammen in einen Raum ins Kastell sperren. Am selben Tag rüsteten sich die Autoritäten des Dorfs, um auf die Jagd zu gehen. Doch anstatt durch Wälder und über Hügel zu pirschen, strömten sie zum Kastell. Die Tür des Zimmers, in dem die fünfzehn Gefangenen waren, wurde aufgeschlossen, und die angesehenen Herrschaften eröffneten das Feuer, schossen blind nach Art einer Dorfsafari in den Haufen und massakrierten alle. Und wie es sich nach jeder erfolgreichen Jagdpartie gehört, fand sich am folgenden Sonntag eine heitere Brigade von dreihundert Personen (Salsedo, seine Männer und die ehrenwerten Jäger) auf dem Anwesen von Giuseppe Maltese in Buccuram ein. Sie ließen sich zu einem Freudengelage, einer Riesenfresserei und -sauferei nieder, die in die Annalen eingegangen ist.
     Anfang Juli desselben Jahres wurde Salsedo erwartungsgemäß von unbekannter Hand erschossen. Am sechsundzwanzigsten des Monats beschloß der Bürgerrat einstimmig, daß auf dem Grab von Salsedo ein Gedenkstein aufgestellt werden solle mit der Inschrift: »Für den, der alle Guten vor der drohenden Gefahr gerettet und dem Vaterland die ersehnte Ruhe zurückgegeben hat«.

    Der Pfarrer von Pantelleria muß taub und blind gewesen sein, denn im Sterberegister der Hauptkirche fehlen die Namen der fünfzehn Personen, die wie Hasen oder Wachteln abgeknallt wurden.

    Versteht man den unklaren Satz von Angelo D’Ajetti richtig (»die Melderegister der Gemeinde enthalten das nicht«), kann man sicher sein, daß das örtliche Totenregister aus dem Jahr 1848 sicherheitshalber schon vor Zeiten verschwunden ist.

    Die weit- und hellsichtigen Phönizier gaben der Insel Pantelleria den Namen ’Yrnm, »Straußeninsel«.
    Diese ausführliche Klammer
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