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Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Titel: Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
Autoren: Andrea Camilleri
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wurde. Im Höchstfall haben sich die Autoritäten von Borgata die Köpfe heiß geredet, welches wohl die geeignetste Bestattungsstätte sei. Über die Tatsache, daß die ermordeten Zwangsarbeiter fernab vom Dorf bestattet werden sollten, gab es keine Silbe zu verlieren: Durch ihre Verbrechertaten hatten sie sich zeit ihres Lebens aus der Gesellschaft ausgeschlossen, und aus der Gesellschaft ausgeschlossen sollten sie auch als Tote bleiben. Bestenfalls durfte man für sie beten und nach Christenbrauch ein Kreuz darübersetzen.
    Und die Angelegenheit buchstäbliche ruhen lassen.

    Immer noch laut Marullo wurde am neunzehnten gegen Abend der Befehlshaber Sarzana »von Soldaten, die aus Girgenti gekommen waren« verhaftet und durch die Straße von Borgata »zwischen zwei dichtgedrängten Volksreihen und unter herben Beschimpfungen in die Stadt abgeführt. Die Blutstropfen, die von seinen blutigen Wagen zu Boden gefallen waren, schienen ihm die unerbittliche Anklageschrift vor Gott und den Menschen vor Augen zu halten«. Hier muß ich ganz dringend etwas verstehen. Fragen wir uns als erstes, welcher Miliz die Soldaten angehörten, die wie Racheengel von Girgenti herunterkamen. Von bourbonischen Soldaten kann wohl kaum die Rede sein, denn ich glaube kaum, daß es an dem von Marullo angegebenen Datum (dem neunzehnten) überhaupt noch Soldaten gab, die über eine solch heroische Willenskraft verfügten, acht Kilometer zu Fuß zurückzulegen, um jemanden zu verhaften. Und dann, wen sollten sie überhaupt verhaften? Einen Ranghöheren aus ihrem eigenen Heer, der eine Kriegshandlung vollbracht hatte und bis zum Vorabend von der Seite aus schoß, die in ihren Augen noch immer und in jeder Hinsicht die richtige war? Wer sollte einen solchen Haftbefehl gegeben haben und aufgrund welcher Anklagen? Da führt kein Weg daran vorbei: Wenn die Toten noch nicht aus dem Gefängnis geschafft worden waren (und wir haben bereits gesehen, wie sinnlos das gewesen wäre), entpuppte sich alles als pures Gerede, als bloße Unterstellungen. Schwerlich kann man sich einen Sarzana vorstellen, der beim Anblick jener Soldaten seinen Untergeordneten ergeben die Tür öffnet, ihnen das Gemetzel zeigt und dann die Handgelenke in die Handschellen legt. Noch unwahrscheinlicher ist die Vorstellung eines Sarzana, der, von heftigen Gewissensbissen geplagt, die Seinigen anfleht, sie mögen ihn doch freundlicherweise verhaften und ihm die verdiente Bestrafung verpassen; es ist sogar kühn und verwegen anzunehmen, daß sich die Soldaten, die wußten, daß Sarzana das Tor nie und nimmer öffnen würde, als Verstärkung ausgegeben hätten, um anschließend über den Befehlshaber herzufallen. Doch was ist eigentlich aus den anderen Soldaten geworden, zumindest aus denen, die die drei Petarden gezündet haben? Sie sind wie vom Erdboden verschluckt; man könnte fast meinen, Sarzana spiele hundert Rollen in der Komödie: Er ist es, der auf die Menge schießt, der die Falltüren des Luftschachts schließt, der die drei Bomben wirft. Mir kommt das ehrlich gesagt alles unsinnig vor. Andererseits existierte seinerzeit keine Miliz des republikanischen Siziliens, und sich auszumalen, daß Sarzana sich ganz brav ergeben habe, ist ein noch größeres Hirngespinst als das der bourbonischen Soldaten als Racheengel.

    »Tragödiant«, heißt in unserer Gegend jemand, der bei jedem ernsten oder heiteren Anlaß Theater spielt und Ton und Gestik der jeweiligen Ebene des Geschehens anpaßt. Seine »Interpretation« hat im allgemeinen nicht sosehr den Zweck, die Zustimmung der Anwesenden, sondern deren spontane und aktive Beteiligung an der Szene zu wecken. Wenn der Tragödiant wirklich fähig ist (und es bedarf eines außerordentlich feinen Gehörs, um beispielsweise aus den verzweifelten Klageschreien einer augenscheinlich dem Selbstmord nahen Witwe, eine lustige Vergangenheit, die gespickt voll ist mit Hörnern für den Ehemann, herauszuhören), dann ist die Zustimmung der Umstehenden wie eine Belohnung; alle sind bereit, wie es im Theaterjargon heißt, den Stichwortgeber zu machen und im richtigen Moment die richtige Antwort zu geben. Ich weiß gut, daß der »Tragödiant« andernorts ganz einfach »Komödiant« genannt wird, doch da man bei uns eher die Tragödie als die Komödie aufführt – ein ganz natürlicher Charakterzug, der auch in Hunderten von wissenschaftlichen und belletristischen Büchern erklärt ist –, braucht man darüber keine Worte mehr zu verlieren:
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