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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung
Autoren: Meredith Duran
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Es hätte keine Bedeutung gehabt, wenn sie zu Grimston gegangen wäre, das sollte sie wissen, sie musste wissen, dass er mit seinem Stolz abgeschlossen hatte: Er hätte trotzdem nach ihr gesucht.
    Und dann blinzelte sie und schluckte, und diese kleine Bewegung genügte, um ihn aus seiner Lähmung zu reißen, sie in winzige Splitter zu zertrümmern, die sich in einer prickelnden, stechenden Erkenntnis in ihm ausbreiteten.
    »Katherine«, sagte er langsam. »Was tust du hier?«
    Sie gab einen panischen Laut von sich und kam auf ihn zu. »Hör mir bitte zu«, sagte sie. »Es … es war falsch von mir, sie zu verleugnen. Aber er … du kannst es nicht verstehen, er hat mich so lange gepiesackt. Ich wollte ihn nicht heiraten, er wollte nur das Geld, aber er hat gesagt, ich könnte wählen, wen ich wollte, solange ich sie nur verleugnete. Und ich war mir nicht sicher!« Ihre Stimme klang hoch, verängstigt. »Ich war mir ihrer nicht sicher bis … bis …«
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte er sanft. »Ich habe so einiges vor mit deinem Vormund.«
    »Oh.« Sie wurde noch blasser. »Aber ich glaube … ich glaube, er hat etwas mit ihr vor. Ich habe ihm gesagt, dass ich sie als meine Schwester anerkennen werde. Und er benimmt sich, als wäre es sein Vermögen, das dann halbiert wird. Ich glaube, sie ist in großer Gefahr!«
    Nell hatte die zwei schlichtesten Kleider bei Hannah gelassen und den Rest in eine einfache Reisetasche gepackt, die sie sich geliehen hatte. Die Tasche, die sie aus Mayfair mitgenommen hatte, würde zu viele Blicke auf sich ziehen. Zu Brennan war es ein langer Weg über das holprige Pflaster. Hannah hatte sie begleiten wollen, aber sie konnte es im Moment nicht ertragen zu sprechen. Es reichte schon, sich immer weiterbewegen zu müssen. Sie brachte nicht die Kraft auf zu erklären, in Worte zu fassen, was sie getan hatte: Sie hatte sich selbst die Eingeweide aus dem Leib gerissen, ihr Leben mit einem Messer zerstückelt und sich die trostlose, verdammte Seite ausgesucht, um den Rest ihrer Tage zu verbringen.
    Sie würde ihn nie wieder sehen.
    Ihn nie wieder berühren.
    Nie mehr seine Stimme hören.
    Tief holte sie Luft, als sie die Straße überquerte. Ihr Kopf war leer, aber ihr Körper erinnerte sich an den Weg und brachte sich reflexartig vor einer Kutsche in Sicherheit. Während der Kutscher ihr im Vorbeifahren einen Fluch an den Kopf warf, trat sie in eine matschige Pfütze, ohne zu spüren, wie die Feuchtigkeit durch ihre Ziegenlederschuhe drang.
    Es war gut, dass die Schuhe dreckig wurden. Neue, glänzende Schuhe waren für neugierige Augen ein Hinweis auf einen Komfort, den sie sich jetzt nicht mehr leisten konnte. Sie war wieder, wo sie hingehörte, auf der schmalen Gasse zwischen den baufälligen Gebäuden, wo zerbrochenes Glas auf dem Boden lag und die Leute an den Hauswänden lehnten, sich laut unterhielten, Passanten neugierig beäugten und Bekannten zunickten.
    Aber ihr nickte niemand zu. Bekannte Gesichter verfielen in Schweigen, sobald Nell sie ansah. Der Gemüsehändler hob die Augenbrauen und wandte sich erstaunt pfeifend ab, während der Ladenjunge sie mit offenem Mund anstarrte.
    Es kribbelte ihr im Nacken. Blicke folgten ihr, hefteten sich an ihren Hinterkopf. Sie zwang sich ein verächtliches Lächeln auf die Lippen und ging einfach weiter. »Nellie«, hörte sie jemanden murmeln. »Das ist Nellie.«
    »Was ist nur? Glaubst du …«
    »… hat sie sitzengelassen?«
    »Gott schütze sie«, flüsterte jemand.
    Ein Schauder überlief sie. Für einen Moment, in einem stupiden Reflex, flogen ihre Gedanken in die Peacock Alley, den einzigen Ort, der je ihr Zuhause gewesen war. Bevor Mum krank wurde, hatte jene Wohnung Geborgenheit bedeutet.
    Nell dachte an Mums Grab, an das grobe Holzschild mit den aufgemalten Worten: »Von Herzen geliebt. Für immer vermisst«.
    Hier in der engen Gasse, während sie an zerbrochenen Fenstern und Gaffern vorbeiging, dachte sie zum ersten Mal seit Wochen an Jane Whitby, ohne Schmerz zu fühlen. Sie hatten etwas gemeinsam. Beide waren sie vor jener parfümierten, vornehmen Welt in diese Straßen geflohen. Beide hatten es aus Verzweiflung getan, keine andere Empfindung hätte das vermocht.
    Ob es richtig war oder nicht, sie würde Mum immer vermissen. Liebe musste nicht rein oder schuldlos oder frei von Wut sein, um wahr zu sein. Man konnte jemandem etwas vorwerfen und ihn trotzdem lieben. Man konnte ihm etwas vorwerfen und liebte ihn nicht einmal
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