Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine Liebesehe

Titel: Eine Liebesehe
Autoren: Pearl S. Buck
Vom Netzwerk:
sie genau. Das Bild ist gut, dachte er, sehr gut. Sogar seinem Vater konnte er es mit Stolz zeigen. Aber diesem kritischen Urteil wollte er es erst aussetzen, wenn es ganz fertig war.
    »Darf ich das Bild über Nacht hier lassen?« fragte er. »Ich möchte es nicht gern hin und her tragen, solange die Farben noch feucht sind.«
    »Es wird niemanden stören, wenn Sie's hier lassen«, erwiderte sie.
    »Wo wollen wir es hinstellen, damit es nicht im Wege ist?«
    »Ich denke, am besten in den Salon«, meinte sie.
    Sie bewegte sich mit kraftvoller Anmut über den unebenen Fußboden und führte William durch einen schmalen Gang zu einem rechteckigen Raum, dessen Fensterläden geschlossen waren. Sie zündete eine Kerze an, und er sah schwere, dunkle Möbel und an den Wänden mit Kreidestift gezeichnete Ahnenbilder.
    »Hierher kommt niemand«, erklärte sie.
    »Morgen bin ich wieder da«, sagte er.
    Er blickte sich in dem seltsamen Zimmer um, während er die Staffelei aufstellte. Auch dies wollte er heute abend beim Essen beschreiben.
    Die Küche, dachte er, als er hier wieder eintrat, ist wirklich schön. Wenn die Menschen einen Raum zu täglichem Gebrauch formten, wurde er ohne ihr Wollen schön.
    »Mir gefallt es hier ausnehmend gut«, sagte er, indes er seine Pinsel abwischte.
    Sie stand daneben und sah ihm zu, und bei seinen Worten hob sie die Augen zu ihm.
    »In dieser alten Küche?«
    »In dieser alten Küche«, wiederholte er.
    Als er seine Tuben einräumte, lächelte er vor sich hin. Hätte es einen Zweck gehabt, ihr das Wesen der Schönheit zu erläutern? Er glaubte, daß es sich nicht lohnte. Wozu ihr außerdem etwas erklären, worüber sie in solcher Fülle verfügte? Mit erneuter Wertschätzung blickte er sie an und lächelte ihr zu. Dann ergriff er seinen Malkasten und hängte ihn sich über die Schulter.
    »Auf Wiedersehen«, sagte er.
    Sie gab ihm das kleinste Lächeln zurück, dessen sie fähig war, und als er es wahrnahm, wurde ihm bewußt, daß er zum erstenmal ihr Gesicht ohne seine reine, ernste Ruhe sah. Er hielt inne, gefangengenommen von dieser Veränderung.
    »Bis morgen«, sagte er.
    Sie sprach nicht, sondern stand nur da, und das Lächeln war auf ihrem Gesicht. Er ging fort, und in seinem Geiste blieb ihr Ausdruck so klar wie das halbvollendete Bild. Während des ganzen Heimwegs sann er über dieses Lächeln nach. Hätte er es dem gemalten Antlitz geben sollen? Nein, so lieblich auch das Lächeln auf ihren Lippen gewesen, ihr Ernst war noch lieblicher.
    So tief war er in seine Betrachtungen versunken, daß ihm sein Elternhaus beim Eintritt fremd und fern dünkte. Doch dies war die Halle, die er sein ganzes Leben lang jahrein, jahraus betreten hatte. Eine Türe öffnete sich, und der Diener kam geräuschlos herbei, um ihm Malkasten und Stock abzunehmen.
    »Soll ich Ihre Pinsel waschen, Herr William?«
    William zauderte. Er drückte sich immer gerne vor dem Pinselwaschen. Vor langer Zeit hatte er dem alten Martin gezeigt, wie man es machen mußte. Heute abend aber hatte er ohne jeden Grund Lust, sie selber zu waschen.
    »Danke bestens, ich werde es selber tun. Ich möchte mir einige von ihnen näher ansehen.«
    »Sehr wohl. Ich bringe sie hinauf.«
    »Ich will sie selber hinauftragen, danke.«
    Er nahm den Malkasten wieder an sich und stieg die Treppe hinauf, die in großer Windung drei Stockwerke emporführte. Zuoberst war sein Schlafzimmer und auch sein Atelier, in dem die Bilder hingen, die er seit seinen ersten Versuchen als Achtjähriger gemalt hatte. Er ließ sie dort, weil er spürte, daß sein Vater keines für gut genug erachtete, um es in der Galerie im Südflügel aufzuhängen. Sein Vater sagte, getrieben von Feingefühl, dann und wann: »Eines Tages wirst du mal für mich ein Bild malen, mein Junge.«
    »Ich weiß nicht, ob mir das jemals gelingen wird, Vater.«
    »Natürlich, natürlich wird dir das gelingen«, beharrte der alte Herr. Seiner Frau raunte er im geheimen zweiflerisch zu: »William hat Technik, Henriette, aber es fehlt ihm noch das Eigene, das aus der Eingebung stammt.«
    Frau Barton erwiderte darauf mit ihrer üblichen Festigkeit: »Ich hoffe nur, daß es eine echte Eingebung sein wird, wenn sie ihm kommt.«
    In seinem Zimmer angelangt, wurde sich William seiner sonderbaren Benommenheit bewußt. Er war sehr müde. Noch nie hatte er pausenlos so viele Stunden gemalt. Nichts hatte ihn je zuvor dazu bringen können, Zeit und Müdigkeit zu vergessen. ›Wie eine Eingebung kam
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher