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Eine Liebesehe

Titel: Eine Liebesehe
Autoren: Pearl S. Buck
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einen rötlichen Haarbüschel sehen.
    »Darf ich?« fragte William dankbar. Heute abend hatte er beim Heimkommen seinen Eltern etwas zu erzählen.
    »Wie reizend«, würde seine Mutter sagen.
    »Ganz europäisch«, stimmte dann sein Vater zu.
    Beide kannten sie die Bauern von Europa besser als die Landbevölkerung ihrer Heimat. Die Gereiztheit infolge eines Wortwechsels, den er vor einigen Tagen mit seinem Vater über dieses Thema geführt hatte, war der Antrieb zu dem Malausflug gewesen. Er hatte behauptet, daß die amerikanische Landschaft gute Motive biete, und diesen Standpunkt um so hitziger verfochten, weil er in diesem Sommer nicht nach Europa zurückkehren wollte.
    »Hier ist die Landschaft roh«, hatte sein Vater mit der üblichen freundlichen Sicherheit, die er allen Kunstfragen gegenüber an den Tag legte, gesagt. »Sie hat keine Tiefe. Die Menschen leben noch nicht lange genug hier.«
    »Ich möchte dir gerne das Gegenteil beweisen«, hatte William geantwortet. Das ungläubige Lächeln seines Vaters hatte ihn dazu verleitet. William hatte selber einen starken Eigensinn – mußte ihn haben, meinte er, wegen seiner Mutter.
    Jetzt betrat er die schattige Diele. In dem Steinhaus war es kühl wie in einem Keller.
    »Kommen Sie nur getrost herein«, sagte der Farmer herzlich. »Harnsbarger ist mein Name, und das Haus heißt ebenso. Vier Generationen meiner Familie lebten hier, und meine Kinder werden die fünfte sein. Wir essen in der Küche – geradeaus durch den Gang und dann links.«
    »Danke vielmals«, gab William zurück. Er fühlte sich ganz vertraut mit diesem Menschenschlag. Er liebte einfache Leute; sie gaben ihm die Möglichkeit, er selbst zu sein.
    Sie befanden sich nun in der Küche, einem großen Räume mit Steinfußboden; in der Mitte der hinteren Wand war ein großer Kamin, in dem man einen Herd aufgestellt hatte. Darüber waren mächtige Eichenbalken, die der Rauch dunkelbraun gefärbt hatte. Am Fenster stand der gedeckte Tisch, und daneben schnitt eine Frau in faltenreichem braunem Kleide Brot. Das hübsche Mädchen wartete an seinem Platz.
    »Ruth, leg noch ein Gedeck auf«, befahl Harnsbarger ihr. »Setzen Sie sich«, sagte er zu William.
    »Sie sind Frau Harnsbarger«, sagte William mit einem raschen Lächeln zu der Frau.
    Sie nickte, zu scheu, um zu lächeln oder zu sprechen.
    »Und Sie«, sagte William zu dem Mädchen, »sind Fräulein Ruth Harnsbarger.«
    »Ja«, antwortete das Mädchen ruhig.
    Sie setzten sich nieder und aßen. Das Mahl war schlicht und köstlich. Niemand redete, bis der erste Hunger gestillt war. ›So sollten die Menschen stets essen, wenn sie hungrig sind‹, dachte William, ›damit die gute Nahrung das Hungergefühl nehmen kann.‹ Er war der höflichen Verpflichtung zu zweckloser Unterhaltung am Tisch seiner Eltern oft müde; dort schien man die Nahrung um ihrer selbst willen nicht für achtenswert zu halten. Er liebte es, die Schüsseln auf dem Tisch vor Augen zu haben anstatt neben sich auf einem silbernen Tablett. Sein Hunger belebte sich wieder, als er sich zum zweitenmal nahm.
    »Sind Sie aus dieser Gegend?« erkundigte sich Harnsbarger unvermittelt. Sein Teller war schnell geleert, und er reichte ihn seiner Frau, um ihn neu füllen zu lassen.
    »Ich bin in Philadelphia daheim«, gab William Auskunft.
    »Hat Ihr Vater dort viel Arbeit?« fragte Harnsbarger weiter.
    »Er hat eine Eisenbahn«, erwiderte William. Jahrelang hatte er seinen Vater nie etwas tun sehen, das Arbeit genannt werden konnte.
    »Gutes Geschäft?« fuhr Harnsbarger fort und nahm sich mit erneutem Eifer ein Hühnerbein.
    »Es scheint so«, versetzte William. Nie stellte er seinem Vater diese Frage. Von den Dividenden der Eisenbahngesellschaft, vermutete er, stammte wohl das Geld, mit dem das große Haus und der Garten so schön in Ordnung gehalten wurden, mit dem sein Vater die Bilder bezahlte, die er kaufte, und mit dem sein eigener langjähriger Aufenthalt in Paris und das Musikstudium seiner Schwester Louise bestritten worden waren. Louise hatte sich im vergangenen Winter verheiratet, und für ihre Aussteuer und die Hochzeit mußten die Dividenden der Eisenbahnaktien ebenfalls hergehalten haben.
    »Von diesen Geschäften versteh' ich nichts«, bekannte Harnsbarger offen. Er knabberte den Hühnerknochen, und William wandte die Augen ab.
    Zufällig fielen sie ganz natürlicherweise auf das Gesicht ihm gegenüber. Ein wunderbar hübsches Gesicht, dachte er abermals, und dann kam es ihm
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