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Eine Krone für Alexander (German Edition)

Eine Krone für Alexander (German Edition)

Titel: Eine Krone für Alexander (German Edition)
Autoren: Elfriede Fuchs
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nur grob aus dem Holz herausgearbeitet,
nicht viel mehr als ein Baumstamm. Kerben waren in ihn eingegraben, die die
Falten eines Gewandes andeuteten. Das Gesicht war verwittert und im schwachen
Schein des Feuers kaum zu erkennen.
    Olympias trat hinter ihn und legte ihm die Hände auf die
Schultern. „Dies ist nur ein kleiner Tempel, aber drüben in Asien, in Ephesos,
gibt es ein anderes Heiligtum, das der Artemis geweiht ist. Früher stand dort
der größte und prächtigste Tempel der Welt. Eines Nachts traf ihn ein Blitzschlag
und brannte ihn nieder bis auf die Grundmauern. Heute ist er nur noch eine Ruine.“
Sie beugte sich zu ihm herab und flüsterte in sein Ohr. „Artemis ist auch die
Göttin der Geburt. In der Nacht, in der du geboren wurdest, kam sie zu mir, um
dich zu beschützen. Deshalb war sie in dieser Nacht nicht in Ephesos und konnte
nicht auf ihren Tempel achtgeben. So schlug der Blitz ein und zerstörte ihn.
Denke immer daran, Alexander, dass du unter dem Schutz der Götter stehst!“
    Sie holte einen Lederbeutel hervor und öffnete ihn. „Bring
Artemis ein Opfer dar und danke ihr!“
    Er griff in den Beutel, holte ein paar Brocken Weihrauch heraus
und warf sie ins Feuer. Die Flamme loderte auf und tauchte das Bild der Göttin
für einige Augenblicke in flackerndes Licht.
    Olympias flüsterte: „Spürst du die Gegenwart der Göttin?“
    Er blickte zu Artemis auf.
Obwohl es bald wieder dunkel wurde und ihr Gesicht kaum noch auszumachen war,
hatte er das Gefühl, dass die Göttin ihn ansah. Er flüsterte zurück: „Ja, ich
spüre es, sie ist hier!“
    Nach der Opferzeremonie draußen am Altar setzten sich die
Frauen ins Gras. Sie aßen und tranken, lachten und redeten. Alexander spielte
mit Lanika zwischen den Bäumen, während die Soldaten ihn unauffällig im Auge
behielten. Sie gehörten zu den Pezhetairen, der königlichen Leibgarde. Der
Befehlshaber, ein Mann mit einer imposanten Narbe auf dem Oberarm, kam zu
Alexander herüber und wuschelte ihm grinsend durch das Haar.
    „Na, Kleiner, haben sie dich in den Tempel gelassen? Das ist
eine große Ehre, weißt du! Normalerweise darf kein Mann die Göttin sehen.“
    Alexander nutzte die Gelegenheit, die Waffen der Pezhetairen
aus der Nähe zu bewundern, die blank polierten Brustpanzer, die purpurgesäumten
Umhänge, die metallenen Beinschienen und Helme. Einer der Soldaten erlaubte,
dass Alexander seinen Speer nahm. Mit beiden Händen umfasste er den hölzernen
Schaft und sah an ihm hoch bis zur metallenen Spitze. Dann gab der Soldat ihm
seinen Schild zum Halten. Vorsichtig steckte Alexander seinen dünnen Arm durch
die Lasche auf der Innenseite. Sein Arm war zu kurz, als dass seine Hand den
Griff hätte erreichen können, und als der Soldat losließ, brach Alexander unter
dem Gewicht fast zusammen.
    „Es dauert wohl noch etwas, bis du so einen halten kannst“,
sagte der Mann mit gutmütigem Lächeln, als er ihm den Schild wieder abnahm.
    Noch lange danach dachte Alexander an diesen Tag zurück und
erinnerte sich an die Göttin, die ihren Tempel verlassen hatte, um ihn zu
beschützen. Er fragte sich, ob ihn wohl jemals wieder jemand aufbauen würde.

4
    Olympias sah es nicht gern, wenn Alexander mit seinem Bruder
spielte.
    „Arrhidaios ist der Sohn einer Frau von niedriger Herkunft
und zweifelhaftem Ruf! Philinna war nichts weiter als eine billige Tänzerin,
ehe Philipp sich mit ihr eingelassen hat. Ich dagegen bin die Tochter eines
Königs! Arrhidaios ist kein passender Spielgefährte für dich, den Abkömmling
von Göttern und Helden!“
    Sie und Philinna hassten einander, weil beide dem König einen
Sohn geboren hatten. Arrhidaios war über ein Jahr älter als Alexander. Er war
der älteste Sohn des Königs und damit sein voraussichtlicher Erbe, denn Phila
aus Elimeia, die immer darauf pochte, die erste Gemahlin des Königs zu sein,
besaß keine Kinder, und Audata, eine Illyrerin mit fremdartigem Akzent, hatte
bislang nur eine Tochter zustande gebracht.
    Dass sein Vater so viele Frauen hatte, kam Alexander anfangs
ganz normal vor, erst nach und nach wurde ihm klar, dass gewöhnliche Männer nur
eine einzige Frau hatten. Alle Gemahlinnen des Königs galten als Königinnen und
hatten ihren eigenen Hofstaat. Die Atmosphäre im Palast war oft gespannt, ja
geradezu feindselig, doch die meiste Zeit beschränkten sich die Frauen darauf,
einander mit frostiger Nichtbeachtung zu begegnen. Dafür sorgte schon Königin
Eurydika, die Mutter des Königs,
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