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Eine Krone für Alexander (German Edition)

Eine Krone für Alexander (German Edition)

Titel: Eine Krone für Alexander (German Edition)
Autoren: Elfriede Fuchs
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Vögel und gegen eine Schlange mit neun Köpfen. Sogar in den Hades, die
grauenvolle Unterwelt, war er hinabgestiegen. Von dort hatte er den Höllenhund
entführt, den dreiköpfigen Zerberus. Im Übrigen war Herakles ein Sohn des Zeus
und, wie Kleitos behauptete, der größte Held aller Zeiten.
    „Wie kann das sein?“, protestierte Alexander. „Der größte
Held aller Zeiten ist mein Ahnherr Achilleus! Herakles kann nicht größer sein
als er!“
    Diplomatisch meinte Kleitos: „Ich würden sagen, er war genauso
groß. Übrigens ist Herakles ebenfalls dein Ahnherr, denn die makedonischen
Könige stammen von seinem Sohn Karanos ab. Also bist du sowohl über deinen
Vater als auch über deine Mutter ein Abkömmling des Zeus.“
    Daraufhin war Alexander natürlich beruhigt.
    Kleitos fuhr fort: „Kennst du die Geschichte, wie Karanos
nach Makedonien kam?“
    „Nein. Erzähl.“
    „Also, Karanos kam ursprünglich aus Argos; das ist eine
Stadt unten im Süden. Das Orakel von Delphi hatte ihm geweissagt, dass er eines
Tages König sein würde. Ziegen mit gewundenen Hörnern und weißem Fell würden ihn
in sein Königreich führen. Eines Tages kam Karanos nach Makedonien. Da brach
ein Unwetter los, und er sah eine Ziegenherde, die vor dem Regen flüchtete. Die
Ziegen hatten gewundene Hörner und ein weißes Fell, genau, wie das Orakel
gesagt hatte. Karanos folgte ihnen zu einer Stadt. Dort wurde er der erste
König der Makedonen. Seine Nachkommen nennen sich Argeaden, weil Karanos
ursprünglich aus Argos gekommen war. Die Stadt, zu der ihn die Ziegen geführt
hatten, nannte er zur Erinnerung Aigai. Das heißt so viel wie Ziegenstadt.“
    „Ich dachte, Pella ist unsere Hauptstadt“, sagte Alexander
skeptisch.
    „Erst
seit König Archelaos, also ungefähr seit fünfzig Jahren. Aber Aigai ist die
alte Königsstadt, denn dort sind die Gräber der Könige. Es gibt eine
Weissagung, dass die Argeaden so lange in Makedonien herrschen werden, wie ihre
Könige in Aigai begraben werden.“

6
    In manchen Nächten erwachte er, weil
von unten Licht und merkwürdige Geräusche heraufdrangen. Dann legte sich Lanika
zu ihm, tätschelte ihn beruhigend und sagte, er solle weiterschlafen. In einer
eisigen Winternacht wurde er wach und bemerkte, dass Lanika immer noch schlief.
Er schlüpfte aus dem Bett, öffnete die Tür und schlich die Stiege hinunter.
    Unten war es dunkel, doch die Läden zum Innenhof waren weit
geöffnet. Das Licht des Vollmonds fiel auf den Boden, weiß und kalt und geheimnisvoll.
Feuer loderte auf einem Dreifuß. Er sah seine Mutter davorstehen, halb mit dem
Rücken zu ihm. Pyrrha war bei ihr und hielt etwas in der Hand, auf der anderen
Seite war Gorgo und presste etwas Dunkles, Zappelndes an ihre Brust. Die Frauen
sangen eine fremdartige Beschwörung. Es roch beißend nach Verbranntem.
Allmählich wurde der monotone Singsang lauter, und Pyrrha warf etwas ins Feuer,
das daraufhin aufloderte. Der Gestank verstärkte sich. Er konnte nun erkennen,
was die Dienerin in der Hand hielt: eine Art Puppe, so wie die, mit denen seine
Schwester Kleopatra spielte, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, was eine
erwachsene Frau damit anfangen wollte.
    Olympias hob die Arme und deklamierte mit gedämpfter Stimme:
„Hekate, große Göttin! Herrin der Kreuzwege! Dreigestaltige Tochter der Nacht,
die du die Geisterschwärme anführst und die Seelen der Toten in die Unterwelt
geleitest! Nimm mein Opfer gnädig an und erhöre mein Gebet!“
    Die drei Frauen legten den Kopf in den Nacken und gaben ein
Heulen von sich, nicht wie aus menschlichen Kehlen, sondern eher wie das Geheul
von Hunden oder vielleicht auch Wölfen, unheimlich und unmenschlich. Es ging
ihm durch Mark und Bein, und ein Schauder lief ihm das Rückgrat hinunter. Gorgo
hielt das zappelnde Etwas in die Höhe, und er erkannte, was es war: ein kleiner
Hund, mit Stricken zu einem Bündel geschnürt, das sie im Nacken gepackt hielt
und dem eisigen Mondlicht entgegenstreckte. In ihrer anderen Hand sah er ein
Messer blitzen.
    Plötzlich packte Lanika ihn von hinten und zerrte ihn zurück
ins Bett. Sie nahm sein Gesicht in beide Hände und schüttelte es leicht. „Du
darfst niemandem erzählen, was du eben gesehen hast! Niemandem! Hast du verstanden?“
    Obwohl er gar nicht wusste, was er eigentlich gesehen hatte,
war ihm doch klar, dass es besser war, wenn niemand davon erfuhr.

7
    Als das Frühjahr kam, summten Olympias’ Gemächer und das
angrenzende Peristyl von den
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