Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Katze im Wolfspelz

Eine Katze im Wolfspelz

Titel: Eine Katze im Wolfspelz
Autoren: Lydia Adamson
Vom Netzwerk:
warum sollte ich jetzt nicht mal hineinschauen?
    Ich suchte eine Viertelstunde, dann fand ich es in dem Schrank im Flur, unter ein paar alten Sammelalben. Der grüne Einband war abgegriffen und fleckig. Großmutters Name in roter Tinte auf der ersten Seite war noch gut zu lesen. Daran konnte ich mich erinnern. Sie hatte immer rote Tinte benutzt und einen altmodischen, tropfenden Füller.
    Ich schlug irgendeine Seite auf. Da stand:
    Bonapart-Möwe. Larus Philadelphia. Diese kleine, auffällig gezeichnete Möwe kommt in Herbst und Winter nach Florida. Das Gefieder ist grau, die Unterseiten der Handschwingen weiß. Im Brutkleid trägt der Vogel eine schiefergraue Kapuze. Bei noch nicht geschlechtsreifen Tieren und im Winter ist der Kopf weiß mit einem schwarzen Fleck. Die Beine der Adulten sind orangefarben. Der Flug ist leicht und seeschwalbenartig
    Die Lektüre hatte keinerlei beruhigende Wirkung.
    Ich sah auf die Uhr. Halb zehn. Schnell zog ich mich an: feste Halbschuhe, schwarzer Strickpulli, schwarze Cordhosen. Meine langen Haare drehte ich zu einem kleinen Knoten und setzte eine Skimütze auf. Es war zwar Frühling, aber im Park war es nachts wahrscheinlich kühl.
    Ich beschloß, die Nachrichtensendung abzuwarten und dann mit einem Taxi zum Park zu fahren. Um zehn Uhr schaltete ich den Fernseher ein.
    Um zwanzig nach zehn sendeten sie die Meldung. Der Sprecher benutzte dieselben Worte, die Judy Mizener gewählt hatte, als sie mir im Coffee-Shop davon erzählt hatte. Dann zeigten sie ein Archivfoto einer Höhle. Ich konnte nicht erkennen, ob es die richtige Höhle oder eine andere war.
    Dann kam der Sprecher zum eigentlichen Punkt: Die Höhle würde morgen geöffnet werden, um festzustellen, ob dort wirklich Voodoo-Zeremonien stattgefunden hatten, und danach wieder geschlossen. Dann kam der Wettermensch.
    Ich verließ schnell die Wohnung, ging zur Third Avenue und nahm ein Taxi bis zur Kreuzung Fifty-seventh Street und Seventh Avenue. Ich betrat den Park an der Fifty-ninth Street und Seventh Avenue und lief in Richtung auf die Bogenbrücke, bei der die Ramble beginnt. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich nachts im Central Park. Es war eine ganze Menge los: Jogger, Walker, Autos und Radfahrer waren um diese Zeit noch unterwegs.
    In dem Augenblick jedoch, als ich über die Brücke ging, tauchte ich in eine ruhige Dunkelheit ein. Wo waren die Penner, die ich neulich gesehen hatte? Waren sie auf den bewaldeten Abhängen? Ich ging schnell und mit gesenktem Kopf am äußersten Rand des Pfades.
    Diesmal fand ich die Höhle leicht. Mein Hirn war wie ein Kompaß, so daß mir die Dunkelheit nichts ausmachte. Ich kam zu dem Abhang und kletterte ohne Probleme hinauf. Dann ließ ich mich durch die enge Öffnung gleiten.
    Drinnen benutzte ich eine kleine Taschenlampe und ging rasch durch den Gang, bis ich in den hoch gewölbten Raum gelangte, wo sich die Wandgemälde befanden. Auch jetzt in der Nacht waren - wie am Tag - Lichtflecken zu sehen, die von oben einzufallen schienen. Aber sie tauchten den Raum nur an wenigen Stellen in ein diffuses Halbdunkel. Ohne Taschenlampe oder Streichholz konnte man nicht richtig sehen.
    Ich kauerte mich an die gegenüberliegende Wand, wo mich weder menschliche Wesen, noch Fledermäuse oder Geister ausmachen konnten.
    Alles war vorbereitet. Das Licht war ausgeschaltet. Gleich würde der Vorhang aufgehen. Die Bühnenarbeiter waren jetzt auf ihren Plätzen und warteten aufgeregt auf den Beginn der Vorstellung. Die Platzanweiser standen draußen im Foyer. Das Publikum drehte langsam die aufgerollten Programmhefte in den Händen. Das Lampenfieber der Schauspieler ließ allmählich nach, und sie spürten, wie das Adrenalin durch ihren Körper schoß.
    Ich sah auf meine Armbanduhr. Es war erst fünf vor elf. Ich hatte gerade mal eine halbe Stunde gebraucht, um von meiner Wohnung in die Höhle zu kommen.
    Eine Stunde verging. Durch die kauernde Haltung waren meine Beine eingeschlafen, also setzte ich mich auf, lehnte den Rücken gegen die Wand und streckte die Beine aus. Der Boden war feucht, und ich hatte vergessen, eine Matte oder ein Kissen mitzubringen. Durch das diffuse Licht spürte ich die Darstellungen an den Wänden mehr, als daß ich sie sah. Woher dieses Licht wohl kam? War es Mondlicht? Licht von den Laternen an der Brücke auf der halben Höhe der Höhle? Ich hatte keinen blassen Schimmer.
    Minuten wurden zu Stunden. Ich döste ein, wachte kurz auf und döste weiter. Es war kein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher