Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Japanerin in Florenz

Eine Japanerin in Florenz

Titel: Eine Japanerin in Florenz
Autoren: Magdalen Nabb
Vom Netzwerk:
große, kühle Kellerwerkstatt mit dem hohen, vergitterten Oberlicht, das den Blick auf den Stamm einer großen Palme im schattigen Hof freigab. Ein Radio spielte leise. Pinos Sohn, der im Licht eines hellen Scheinwerfers arbeitete, sah auf und schob freundlich lächelnd die dunkle Brille hoch auf die Stirn. Der Maresciallo mußte nicht nach einem Grund für sein Erscheinen suchen. Vater und Sohn wußten, daß er ihnen gerne bei der Arbeit über die Schulter blickte, wenn er ein wenig Zeit hatte.
    »Wie gefallen Ihnen die hier?« Pino wies auf einen Satz niedriger, quadratischer Hocker, die recht robust und schwer wirkten. Die Verzierung in Gold und Grün war über die Jahrhunderte ganz verblaßt. »Medici-Hocker. Ich habe elf davon gekauft, als der Palazzo Ulderighi an die Bank verkauft wurde. Einer ist allerdings in einem wirklich traurigen Zustand, sehen Sie nur.«
    Der Maresciallo trat ein wenig näher, um den Hocker, den der junge Marco gerade bearbeitete, etwas genauer zu betrachten.
    »Holzwurm.«
    »Kein Holzwurm. Da hat jemand stümperhaft restauriert. Was immer mit dem Originalsitz passiert ist, dieser hier ist neu. Der Holzwurmbefall ist fingiert. Marco bleibt wahrscheinlich nur noch eine differenzierte Restauration, das bedeutet, daß das neu eingefügte Teil klar zu erkennen sein wird, etwa wie bei diesem Stück hier, sehen Sie?«
    Der Maresciallo betrachtete die Antiquitäten eingehend, hörte zu und begriff höchstens die Hälfte von all den Erklärungen. Wie war es wohl, einen Vater zu haben, der soviel Kunstfertigkeit und soviel kostbares Wissen weiterzugeben hatte? Er beneidete den jungen Mann. Aber sogleich verdrängte das schlechte Gewissen alle Neidgefühle, als er an seinen Vater dachte, daran, wie er ihn gelehrt hatte, Reben zu schneiden.
    »Laß nur drei Triebe stehen – nein, nein, du mußt sie sorgsam auswählen … hier auf der linken Seite und da ist noch ein kräftiger in der Mitte. Den letzten suchst du aus. Sehr gut. Schön, jetzt beschneide sie richtig. Und dann binde sie fest, zweimal herum und drehen … Nein, nein, komm, ich zeig’s dir.«
    Wieviel Geduld er doch gehabt hatte mit seinem unbeholfenen Sohn, dessen dicke Finger die rote Weidengerte einfach nicht so drehen konnten, daß sie hielt.
    »Ich muß los.« Hatte er Pino mitten im Satz unterbrochen? Das passierte ihm manchmal, Teresa hatte ihn schon mehrmals darauf aufmerksam gemacht.
    »Du hörst mir überhaupt nicht zu, sondern führst in deinem Kopf die ganze Zeit eine Art inneren Monolog. Dann platzt du mit einer völlig zusammenhanglosen Bemerkung heraus, und ich soll verstehen, von was du gerade sprichst.«
    Doch sie wußte immer, was er meinte. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie das anstellte.
    Der vom Fluß aufsteigende Morgennebel hatte sich noch nicht ganz gelichtet. Der Maresciallo klingelte bei Signora Verdi, die ein Appartement im obersten Stock an der Ecke der Via Mazzetta bewohnte, aber niemand öffnete. Als er den kühlen Schatten der hohen Gebäude in der Via Maggio verließ und die ungeschützte Steigung zum Palazzo Pitti hinaufmarschierte, brannte die Sonne heiß auf ihn herab. Er hatte die erste Stunde seines Arbeitstages, in der er eigentlich langweiligen Papierkram hätte erledigen sollen, sehr angenehm verbracht, und so war er nun bereit, es mit allem aufzunehmen, was ihn auf der Wache erwarten mochte.
    Wie sich herausstellte, warteten in dem gefliesten, fensterlosen Raum nur zwei Personen, ein Mann, der das Protokoll einer Anzeige brauchte, um einen Versicherungsschaden geltend zu machen, und eine kleine, dicke Frau um die neunzig, mit kräftigen Wangen und einer großen Brille.
    »Signora Verdi! Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich zu Ihnen komme. Sie können doch nicht zu Fuß alle die Treppen bis nach hier oben hinaufsteigen!«
    »Ich muß mich regelmäßig bewegen. Wenn ich damit erst einmal aufhöre, werde ich mich nie wieder dazu aufraffen können – und was ist schon Ihre Treppe im Vergleich zu meiner? Ich bin gekommen, weil ich mich bei Ihnen bedanken wollte.« Sie griff nach seinem Arm und hakte sich bei ihm ein.
    »Kommen Sie doch mit in mein Büro. Wir haben Ihnen zu danken. Wenn doch nur mehr Mitbürger so geistesgegenwärtig und clever wären wie Sie, hätten wir deutlich weniger Vorkommnisse dieser Art. Kommen Sie, setzen Sie sich.«
    Mit ›Vorkommnissen dieser Art‹ meinte er zwei Betrüger in blauen Overalls, die mit einem Klemmbrett in der Hand behaupteten, sie kämen von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher