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Eine Japanerin in Florenz

Eine Japanerin in Florenz

Titel: Eine Japanerin in Florenz
Autoren: Magdalen Nabb
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Druckerschwärze hinter sich ließ, dachte er über Lapo und die Florentiner nach. Er lebte nun schon so lange unter ihnen, aber von Zeit zu Zeit hatte er noch immer das Gefühl, daß sie von einem anderen Stern stammten. Der junge Möbelrestaurateur war nicht im Geschäft. Das Gitter war noch nicht hochgezogen. Er fuhr oft zum Einkaufen in den Norden hinauf. Der Schuhmacher war auch nicht da, aber die Tür stand offen, und der Strahler, der das neueste Paar Schuhe ins rechte Licht rückte, war bereits eingeschaltet. Ein junger Mann arbeitete dort drinnen, den Kopf tief über die Arbeit gebeugt. Wahrscheinlich ein Lehrling. Beschwerten sich nicht immer alle, daß es heutzutage unmöglich sei, Lehrlinge zu finden? Capitano Maestrangelo, sein Chef, konnte sich nur selten ein Lächeln verkneifen, wenn der Maresciallo seine Verwunderung über derlei Dinge kundtat, und es war wahrlich nicht einfach, dem Capitano ein Lächeln zu entlocken.
    »Die Welt besteht aus fünf Elementen: Erde, Luft, Feuer, Wasser und die Florentiner«, hatte er einmal erklärt.
    Der Maresciallo hatte ihn sprachlos angestarrt.
    »Das ist nicht von mir. Ein Zitat.«
    »Aha.«
    Aber was hatte er damit sagen wollen? Er hätte sich bei Lapo nach dem Schuhmacher erkundigen sollen, dessen jähzornige, scharfe Zunge den Klatsch und Tratsch im Viertel nährten. Seine handgearbeiteten Schuhe waren berühmt auf der ganzen Welt, sein aufbrausendes Temperament Gesprächsthema im ganzen Viertel und weit darüber hinaus. Im vergangenen Jahr hatte er einen Herzanfall gehabt. Der Doktor empfahl ihm dringend, die Dinge ein wenig gelassener anzugehen und Aufregungen jeglicher Art zu vermeiden. Niemand, der den Schuhmacher kannte, glaubte daran, daß der nächste Herzanfall lange auf sich warten lassen würde, auch der Maresciallo nicht.
    Er gelangte in die Via Maggio und begann seine Runde bei den wichtigsten Antiquitätenhändlern, denen er die monatliche Liste gestohlener Kunstgegenstände brachte. Lorenzini hatte es schließlich aufgegeben, ihn dazu überreden zu wollen, dies per E-Mail zu erledigen. Bestimmt hatte er den Maresciallo, der noch immer mit dem 2-Finger-Such-System auf eine mechanische Schreibmaschine einhackte, als hoffnungslosen Fall abgeschrieben. Vielleicht hatte ihn aber auch inzwischen die Erfahrung gelehrt, daß es zu spät war, seine Pappenheimer erst dann kennenlernen zu wollen, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen war. Der Maresciallo jedenfalls ließ sich nicht von seiner Routine abbringen, trottete weiter zu jedem der großen Geschäfte, in denen es nach Bienenwachs, Staub und Blumen roch, freute sich an den dunkelroten, polierten Böden, den Intarsienarbeiten und den schweren Brokatstoffen. Selbst wenn er sein ganzes Leben arbeitete und jeden Cent sparte, würde er sich nie auch nur ein einziges Stück aus diesen Geschäften leisten können. Aber immerhin konnte er sich an deren Betrachtung erfreuen. Solange er zurückdenken konnte, hatte er in diesen Geschäften noch nie einen Kunden angetroffen, was ihm ziemlich seltsam vorkam.
    Die einzige Ausnahme machte Pino an der Ecke der Piazza San Felice, sein Lieblingsgeschäft unter all den Antiquitätenläden und das einzige, in dem er auch mal auf einen kleinen Schwatz verweilte. Pino war anders. Sein Geschäft war genauso groß und prächtig wie das der anderen, seine Ausstellungsstücke ebenso unbezahlbar. Zwar trug er eine vornehme Seidenfliege, doch blitzte diese nur ab und an unter dem weißen Arbeitskittel hervor. Pino restaurierte seine Kunstschätze selbst, zusammen mit seinem Sohn, in einer riesigen Werkstatt unter dem Laden. Zweifellos war er ein sehr vornehmer, kultivierter Mann, dennoch hatte er mehr Ähnlichkeit mit Lapo als mit all den anderen Antiquitätenhändlern. Er liebte seine Arbeit mehr als das Geld, das er damit verdiente. Kein Dieb, der sich in der Branche auskannte, würde versuchen, Pino gestohlene Ware unterzujubeln. Und so nahm Pino die Liste des Maresciallo wortlos entgegen und legte sie in eine Schublade, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen.
    »Kommen Sie doch einen Augenblick mit nach unten. Entschuldigen Sie … geht’s? Kommen Sie durch?«
    Pino und sein Sohn waren beide sehr schlank, und der dunkle Flur, der zur Treppe nach unten in die Werkstatt führte, war mit Möbeln und schweren Bilderrahmen vollgestopft. Der Maresciallo schob die Sonnenbrille in die Brusttasche, zog den Bauch ein und zwängte sich seitlich durch. Er mochte die
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