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Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Titel: Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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gebauten Häuser hatte es Giebel in unterschiedlicher Breite und Veranden, die in überraschenden Winkeln hervorsprangen. Es wäre wohl unmöglich, dachte Harrison, die Linie des Dachs aus dem Gedächtnis nachzuzeichnen.
    Drinnen blitzte das Haus in einer kühlen Klarheit, hervorgerufen von viel weißer Farbe und Chrom. Aber auch wenn es ihm sehr gefiel, fragte er sich, ob nicht mancher Besucher um das verlorene Haus trauerte, das Haus, das Carl Laski bewohnt hatte.
    »Es war früher schon einmal ein Gasthof. Vor Jahren«, sagte Nora. »Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es allerdings nur noch privat genutzt. Hinter dir an der Wand ist eine alte Fotografie.«
    Harrison stand auf und beugte sich, eine Hand auf die Rückenlehne des Sofas gestützt, zur Wand. Die in dunklem Walnußholz gerahmte Fotografie war bemerkenswert detailliert und klar, jeder Grashalm, jedes Ästchen deutlich gezeichnet mit einer Schärfe, die dem bloßen Auge fehlt. Das Bild zeigte ein weißes Holzschindelhaus mit einer Kuppel auf dem Dach. Nach der dünnen Schneedecke zu urteilen, die die Unebenheiten des Gartens ahnen ließ, schien es November oder früher März zu sein. Am Flußufer hing ein Nebelstreifen, bei genauerem Hinsehen die Rauchfahne eines fahrenden Zugs, der selbst nur verwischt zu erkennen war, ein bloßer Schatten.
    »Das Foto ist aus dem Jahr 1912«, erklärte Nora. »Noch von einem Glasnegativ. Da ist ein Rosengarten. Und eine Rennbahn.«
    Harrison setzte sich wieder auf das Sofa. Er hätte gern gewußt, ob außer ihm schon jemand angekommen war. Er hatte der erste sein wollen, um Nora nicht im Ankunftstrubel mit den anderen wiederzusehen. »Es war ein Gasthof, dann ein Privathaus, dann wieder ein Gasthof?« fragte er.
    Sie lächelte über seine Verwirrung. »Als Carl und ich hierherkamen, war es ein Privathaus. Wir haben fünfzehn Jahre hier gelebt. Nach seinem Tod … Nach seinem Tod habe ich mir überlegt, daß ich wieder einen Gasthof daraus machen möchte. Das Haus wollte eigentlich immer ein Gasthaus sein. Auch als nur wir hier lebten.«
    »Wie viele Zimmer hat es?«
    »Früher waren es zweiundzwanzig.«
    »Wie hast du denn das geschafft?«
    »Wir haben die meisten Zimmer gar nicht genutzt. Möchtest du noch Kaffee?«
    »Nein, danke. War köstlich. Ist von den anderen schon jemand hier?«
    »Agnes wollte spätestens zum Mittagessen hier sein. Bill und Bridget auch. Rob – Rob kommt erst später.«
    »Rob kommt auch?« fragte Harrison erfreut. Er hatte Rob Zoar seit – hm, siebenundzwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Harrison war erstaunt über die Zahl und rechnete noch einmal nach. Doch, es waren siebenundzwanzig. »Er ist gerade in Boston, nicht? Ich glaube, ich habe das irgendwo gelesen.«
    »Er tritt in der ganzen Welt auf. Und bekommt überall glänzende Kritiken.«
    »Ich war ganz überrascht, als ich hörte, daß er Pianist geworden ist. An der Kidd-Academy hat er nie etwas davon gesagt.«
    »Ich glaube, er hat sich anfangs gewehrt.«
    »Zu dieser Hochzeit scheint es ja ziemlich plötzlich gekommen zu sein«, sagte Harrison.
    »Ja, das ist wahr.«
    Zu plötzlich für Harrisons Frau Evelyn, die ihre Termine nicht hatte verlegen können. Bill hatte Harrison in einer E-Mail mitgeteilt, daß er und Bridget heiraten wollten – in Noras Landgasthof – und Harrison und Evelyn gern dabei hätten. Harrison und Bill hatten eine Zeitlang die Verbindung aufrechterhalten (die Familien waren zweimal miteinander im Skiurlaub gewesen), aber von Bill und Bridget hatte Harrison keine Ahnung gehabt.
    »Bridget ist krank«, fügte Nora hinzu. »Deshalb möchte Bill jetzt heiraten.«
    »Wie krank?«
    »Sehr krank«, sagte Nora nicht eben mitteilsam. »Erinnerst du dich, sie waren damals schon zusammen.«
    »Auf der Schule, meinst du? Ja, natürlich.« Bill war beim Baseball ein muskulöser Fänger gewesen, ein zuverlässiger Schlagmann mit Bärenkräften, und regelmäßig hatte er den Ball über den Zaun geschlagen; Bridget, ein ernstes Mädchen, eine hübsche kleine Mollige, hätte zu einer anderen Zeit als Schönheit gegolten. Wenn die beiden eng umschlungen über den Hof gegangen waren, hatte es ausgesehen, als wären sie miteinander verwachsen. Harrison wußte noch, wie enttäuscht er gewesen war, als er hörte, daß beide andere Partner geheiratet hatten.
    »Wie sind sie wieder zusammengekommen?« fragte er.
    »Bei unserem Fünfundzwanzigjährigen. Warst du mal bei einem dieser Klassentreffen?«
    Er schüttelte den Kopf. Er
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