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Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Titel: Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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daß es so schrecklich werden würde. Eines Abends – eines Abends, als es wirklich schlimm war, sagte Carl: ›Es ist so leicht.‹ Ich dachte, er spräche von den Schmerzen. Ich dachte, sie hätten irgendwie nachgelassen. Aber er sprach vom Sterben. Davon, daß er eine leichte Art zu sterben entdeckt hatte.«
    Laski hatte sich die Badewanne einlaufen lassen, den Föhn in die Steckdose gesteckt und ins Wasser fallen lassen. Harrison wußte noch genau, wo er gewesen war, als ihn die bestürzende Nachricht erreicht hatte. Ein Redakteur, mit dem er früher in Toronto zusammengearbeitet hatte, war in einem New Yorker Restaurant an seinem Tisch vorbeigekommen, hatte sich zu ihm gebeugt und leise gesagt: Haben Sie das von Carl Laski gehört?
    »Ein furchtbares Ende eines großartigen Lebens«, sagte Harrison jetzt.
    Nora schwieg.
    »Der Mut, der dazu gehört«, setzte er hinzu.
    »Carl – Carl hätte ›Feigheit‹ gesagt.«
    »Er hatte Kehlkopfkrebs?«
    »Er sagte oft, er hätte diesen Schmerz niemals beschreiben können. Nicht einmal auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Er spotte jeder Beschreibung.«
    »Für Gesunde ist es schwer, sich solche Schmerzen vorzustellen.«
    »Aber das wahrhaft Grauenhafte, sagte Carl immer, sei das Wissen. Das Wissen, daß er im Sterben lag.«
    Harrison stimmte zu. Er konnte sich kaum etwas Schlimmeres vorstellen, als zu wissen, wann man sterben würde; alle Tage dazwischen – zwischen dem Jetzt und dem Dann  –, würden verdorben sein, vergiftet von diesem bitteren Wissen. »Am Ende hat er den Zeitpunkt selbst bestimmt«, sagte er.
    Nora stand auf und glättete den Saum ihrer Bluse über dem flachen Bauch. Sie hatte den Körper einer kinderlosen Frau, und Harrison mußte kurz an Evelyns Körper denken: muskulös und gestreckt vom Schwimmen, aber trotzdem mit der kleinen Wölbung des Bauchs, die er so gern berührte.
    »Möchtest du draußen sitzen?« fragte Nora. Sie öffnete die Flügeltür.
    Harrison erwartete einen kühlen Luftzug, aber der Wind, der von der kleinen Veranda vor der Bibliothek hereinkam, war warm. »Du und Agnes seid wohl Freundinnen geblieben?« sagte er im Aufstehen.
    »Ja. Wir – wir sehen uns selten, aber wir schreiben uns. Sie ist etwas altmodisch, unsere gute Agnes. Sie ist an der Kidd Academy geblieben. Unterrichtet dort.«
    Harrison dachte an Agnes’ festen Körper, ihr träumerisches Wesen, ihr großes Interesse an der Geschichte.
    »Sie hat sich erst einen Computer gekauft, als die Schule ihr die Pistole auf die Brust gesetzt hat«, erzählte Nora. »Sie versteckt ihn unter dem Bett und holt ihn nur heraus, um Zeugnisse zu schreiben.«
    Harrison lachte.
    »Bridgets Mutter und ihre Schwester kommen zur Hochzeit. Bills Familie kommt nicht. Sie nehmen es ihm übel, daß er – na ja, daß er seine Frau und seine Tochter wegen Bridget verlassen hat. Bridgets Sohn bringt einen Freund mit, damit er sich nicht langweilt. Die beiden Jungen sind fünfzehn. Es wird eine kleine Hochzeit. Mehr ein Hochzeitsessen als eine Hochzeitsfeier. Aber Bill nimmt es mit den Einzelheiten sehr genau. Ich habe ihm mit dem Blumenschmuck und der Menüplanung geholfen. Er will es ganz – perfekt. Für Bridget.«
    »Was fehlt ihr denn?« fragte Harrison.
    »Sie hat Brustkrebs.«
    Harrison seufzte. Die Mutter eines fünfzehnjährigen Jungen. Darüber wollte er gar nicht nachdenken.
    Er legte die Hand über die Augen. »Was ist das da drüben?«
    »Der obere Teil einer Berg- und Talbahn«, antwortete Nora vergnügt. »Mit einem Fernglas kann man im Sommer die Leute sehen. Man kann zuschauen, wie die Wagen langsam den Anstieg hinaufkeuchen und dann abwärts stürzen und unter den Bäumen verschwinden. Und dann sieht man sie wie durch Zauberei plötzlich wieder auftauchen. Man hat den Eindruck, als würden sie gleich abheben.«
    »Ich bin noch nie mit so einer Bahn gefahren«, gestand Harrison. »Gerade mal, daß ich in einem Cinerama-Film war. Dahin ist meine Mutter manchmal mit mir gegangen, als ich noch klein war.«
    »Ich glaube, ich war nie in einem Cinerama-Film.«
    »Es war das erste Breitwandfilmformat. Man hatte das Gefühl, mittendrin zu sein – man saß im Wagen einer Achterbahn oder kletterte einen Berg hinauf. Der Zuschauer sollte den Kitzel und den Rausch der Bewegung körperlich erleben.«
    »Ich kann das heute nicht mehr«, sagte sie. »Berg- und Talbahn fahren. Carl konnte es noch. Ihm war jeder Vorwand recht, um hinzugehen. Er hat sich, wenn nötig, sogar Kinder
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