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Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Titel: Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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einprägen, um später das ganze Wunder dieser Stunde wachrufen zu können. Die Unbefangenheit, mit der sie sich entkleidet hatte. Frei von Scham. Dieser Eindruck der Unausweichlichkeit.
»Hast du manchmal an mich gedacht?« fragte er.
»Natürlich.«
»An dem Abend in Halifax, vor der Explosion, hast du es da gewußt?« fragte er.
»Ich wußte nicht genug, um es zu wissen«, sagte sie. »Aber wenn ich jetzt zurückblicke – ja, ich habe es gewußt.« Sie hielt inne. »Bist du glücklich in deiner Ehe?«
»›Glücklich‹ ist das falsche Wort. ›Zufrieden‹ vielleicht. ›Einverstanden‹.«
»Wären wir glücklich gewesen?«
»Ja«, sagte Innes. »Ich bin ganz sicher.«
»Sie hat dir Kinder geboren«, sagte Hazel.
»Ja. Problemlos in einem Fall. Unter Schwierigkeiten im anderen.«
Verrückt, dachte Innes, Louise war diejenige gewesen, die an jenem Tag in Halifax gejammert hatte, daß sie niemals einen Mann und Kinder haben würde, Hazel hingegen könnte alles haben – und es war genau umgekehrt gekommen. Louise hatte Mann und Kinder.
»Du kannst es aushalten ohne Kinder?« fragte Innes.
»Ja. Die meiste Zeit jedenfalls. Manchmal habe ich Angst vor der Zukunft.«
»Louise hätte es nicht ausgehalten«, sagte Innes. »Nicht einmal mit uns allen um sich herum hält sie es gut aus.«
»Dieser Tag damals«, sagte Hazel. »So unwirklich.«
»Die Explosion, meinst du?«
»Ja.«
»Du warst verlobt.«
»Er kam nach Hause«, sagte Hazel. »Er mußte in Halifax bleiben, aber ich bin nicht geblieben.«
»So einfach war es?«
»Nein.«
»All diese Jahre …«, sagte Innes und kam in diesem Moment der Verzweiflung so nahe wie nie zuvor.
»Wir dürfen nicht darüber nachdenken«, sagte Hazel.
»Ich muß nach Toronto zurück«, sagte er. »Übermorgen.«
»Es wird schon wieder gut«, sagte sie beruhigend und strich ihm mit den Fingern über den Rücken. Er wollte schlafen. O Gott, wie sehr er in diesem Bett schlafen wollte. Mit dieser Frau.
Er würde Louise erzählen müssen, er habe zufällig einen Freund wiedergetroffen, den er aus den Augen verloren hatte. Wenn er noch länger blieb, würde sie ihr Konzert versäumen. Louise wußte, daß Innes höchstens im Fall einer Katastrophe zulassen würde, daß sie ihr Konzert versäumte.
Das hier war eine Katastrophe.
Mit Gewalt riß er sich los und stand auf. Er suchte seine Sachen zusammen und zog sie an, wie er sie fand. Als er Hazel wieder ansah, saß sie in einem Morgenrock aus Baumwolle auf der Bettkante. Er zog sein Jackett über, schlüpfte in seine Schuhe. Er setzte sich neben sie, um die Schuhe zu schnüren. Sein Hut und sein Mantel lagen auf dem Sessel im Wohnzimmer. Er ergriff ihre Hand.
Es war ein herzzerreißendes Gefühl, ein körperlicher Schmerz. Hatte er nicht genug geopfert? Aber Opfer allein war es ja nicht gewesen, nicht wahr? Wenn er ehrlich war. Er hatte seine Praxis, die ihn ausfüllte, seine Familie. Er hatte ein reiches Leben.
Er konnte Louise nicht verlassen. Es wäre unrecht.
Er küßte Hazel und stand auf. Er ging zur Tür und legte die Hand auf den Knauf.
    Agnes stützte den Kopf in die Hände. Sie konnte sich nicht entscheiden. Drehte Innes den Knauf und ging? Um niemals zurückzukehren? Wäre das denn recht? Wäre Innes dann ein anständiger Mensch?
    Agnes sah ihn zögern, die Hand am geschliffenen Glas. Vielleicht bemerkte er die Scheiben in der Tür, hörte von draußen eine Sirene. Er wußte nicht genau, wo er war. Er würde ein Taxi nehmen und sich auf dem umständlichen langen Weg zum Hotel zurückbringen lassen müssen, der vor nur einer Stunde in leuchtendem Glanz vor ihm gelegen hatte.
    Hazel wartete geduldig hinter ihm. Sie hatte hier nichts zu entscheiden. Sie konnte den Mann an der Tür nicht beeinflussen oder zu überreden versuchen. Agnes konnte sich nur vorstellen, was sie dachte.
    Agnes wußte, was sie erhoffte.
    Gut, dann nein , entschied Agnes und legte hart den Stift nieder. Innes würde Hazel nicht verlassen. Er mußte sie für den Augenblick verlassen, sagte sie sich mit einer Art wilder Freude im Herzen, aber er würde wiederkommen. Vielleicht schon morgen, für eine Stunde. Ja, das war’s. Innes würde sich um Louise kümmern und seine Kinder großziehen, aber er würde nie wieder ohne Hazel sein. Er und sie würden sich in New York und in Toronto treffen. An den Niagara-Fällen und in Chicago. Sie würden ein Paar bleiben, bis einer von ihnen (es konnte nur Innes sein; noch mehr Kummer konnte Agnes dem Mann nicht zumuten)
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